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»Ganz bestimmt!« bekräftigte der Schwiegervater.
»Aber dieses Leben«, fuhr der Regimentsarzt fort, »halten wir beide nicht
lange aus. Mich befriedigt dieser Beruf keineswegs, wie du weißt. Wo wäre
ich heute schon, ohne diesen Dienst? Ich hätte eine ganz große Stellung in der
Welt, und Evas Ehrgeiz wäre zufriedengestellt. Denn sie ist ehrgeizig, leider!«
»Das hat sie von mir!« sagte Herr Knopfmacher, nicht ohne Vergnügen.
»Sie ist unzufrieden«, sprach der Regimentsarzt weiter, während sein
Schwiegervater ein neues Gläschen füllte, »sie ist unzufrieden und sucht sich
zu zerstreuen. Ich kann’s ihr nicht übelnehmen.«
»Du sollst sie selbst zerstreuen!« unterbrach der Schwiegervater.
»Ich bin –« Doktor Demant fand kein Wort, schwieg eine Weile und blickte
nach dem Schnaps.
»Na, trink doch endlich!« sagte aufmunternd Herr Knopfmacher. Und er
stand auf, holte ein Gläschen, füllte es; sein Mantel klaffte auseinander, man
sah seine behaarte Brust und seinen fröhlichen Bauch, der so rosig war wie
seine Wangen. Er näherte das gefüllte Gläschen den Lippen seines
Schwiegersohnes. Max Demant trank endlich.
»Da gibt es noch was, es zwingt mich eigentlich, den Dienst zu verlassen.
Als ich einrückte, war es mit den Augen noch ganz gut. Nun, es wird mit
jedem Jahre schlimmer. Ich habe jetzt, ich kann jetzt, es ist mir jetzt
unmöglich, ohne Brille etwas deutlich zu sehen. Und eigentlich müßte ich es
melden und den Abschied nehmen.«
»Ja?« fragte Herr Knopfmacher.
»Und wovon … «
»Wovon leben?« Der Schwiegervater schlug ein Bein übers andere, es
fröstelte ihn auf einmal; er hüllte sich in den Bademantel und hielt mit den
Händen den Kragen am Halse fest.
»Ja«, sagte er, »glaubst du denn, daß ich das aufbringe? Seitdem ihr
verheiratet seid, beträgt mein Zuschuß (ich weiß es zufällig
auswendig) dreihundert Kronen im Monat. Aber ich weiß schon, ich weiß
schon! Eva braucht viel. Und wenn ihr eine neue Existenz anfangt, wird sie
auch soviel brauchen. Und du auch, mein Sohn!« Er wurde zärtlich. »Ja, mein
lieber, lieber Max! Es geht nicht mehr so gut wie vor Jahren!‹
Max schwieg. Herr Knopfmacher empfand, daß er den Angriff
abgeschlagen hatte, und ließ den Bademantel wieder aufgehen. Er trank noch
einen. Sein Kopf konnte klar bleiben. Er kannte sich. Diese Dummköpfe! Es
war immerhin noch besser, so eine Art Schwiegersohn, als der andere, der
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik