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gelesen. Zerbrochene Freundschaft. Ja, es ist eine zerbrochene Freundschaft.
Auf einmal weiß er, daß der Regimentsarzt seit Wochen sein Freund ist; ein
Freund! Sie haben sich jeden Tag gesehn. Einmal ist er mit dem
Regimentsarzt auf dem Friedhof, zwischen den Gräbern, spazierengegangen.
»Es gibt so viel Tote«, sagte der Regimentsarzt. »Fühlst du nicht auch, wie
man von den Toten lebt?« »Ich lebe vom Großvater«, sagte Trotta. Er sah das
Bildnis des Helden von Solferino, verdämmernd unter dem Suffit des
väterlichen Hauses. Ja, etwas Brüderliches klang aus dem Regimentsarzt, aus
dem Herzen Doktor Demants schlug das Brüderliche wie ein Feuerchen.
»Mein Großvater«, hat der Regimentsarzt gesagt, »war ein alter, großer Jude
mit silbernem Bart!« Carl Joseph sah den alten, großen Juden mit dem
silbernen Bart. Sie waren Enkel, sie waren beide Enkel. Wenn der
Regimentsarzt sein Pferd besteigt, sieht er ein wenig lächerlich aus, kleiner,
winziger als zu Fuß, das Pferd trägt ihn auf dem Rücken wie ein Säckchen
Hafer. So kümmerlich reitet auch Carl Joseph. Er kennt sich genau. Er sieht
sich wie im Spiegel. Es gibt zwei Offiziere im ganzen Regiment, hinter deren
Rücken die andern zu tuscheln haben: Doktor Demant und der Enkel des
Helden von Solferino! Zwei sind sie im ganzen Regiment. Zwei Freunde.
»Ihr Ehrenwort, Herr Leutnant?« fragt der Doktor. Ohne zu antworten,
streckt Trotta seine Hand aus. Der Doktor sagt: »Danke!« und nimmt die
Hand. Sie gehen zusammen die Landstraße zurück, zehn Schritte, zwanzig
Schritte, und sprechen kein Wort.
Auf einmal beginnt der Regimentsarzt: »Du sollst es mir nicht übelnehmen.
Ich habe getrunken. Mein Schwiegervater ist heute gekommen. Er hat dich
gesehn. Sie liebt mich nicht. Sie liebt mich nicht. Kannst du verstehn?« – »Du
bist jung!« sagt der Regimentsarzt nach einer Weile, als wollte er sagen, daß
er vergeblich gesprochen hat. »Du bist jung!«
»Ich verstehe!« sagt Carl Joseph.
Sie marschieren im gleichen Schritt, ihre Sporen klirren, ihre Säbel
scheppern. Gelblich und heimisch winken ihnen die Lichter der Stadt
entgegen. Sie haben beide den Wunsch, die Straße möge kein Ende finden.
Lange, lange möchten sie so nebeneinander marschieren. Jeder von den
beiden hätte irgendein Wort zu sagen, und beide schweigen. Ein Wort, ein
Wort ist leicht gesprochen. Es ist nicht gesprochen. Zum letztenmal, denkt der
Leutnant, zum letztenmal gehen wir so nebeneinander her!
Jetzt erreichen sie die Stadtgrenze. Der Regimentsarzt muß noch etwas
sagen, bevor sie die Stadt betreten. »Es ist nicht wegen meiner Frau«, sagt er.
»Das ist ja unwichtig geworden! Damit bin ich fertig. Es ist deinetwegen.« Er
wartet auf eine Antwort und weiß, daß keine kommen wird. »Es ist gut, ich
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik