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Werkzeug, schwebte sie mit der zitternden Feder über dem Papier. Dieser
Brief war der erste schwere seines Lebens. Es erschien dem Leutnant
unmöglich, den Ausgang der Angelegenheit abzuwarten und erst dann dem
Bezirkshauptmann zu schreiben. Seit dem unseligen Streit zwischen
Tattenbach und Demant hatte er den Bericht von Tag zu Tag
hinausgeschoben. Es war unmöglich, ihn nicht heute noch abzuschicken.
Heute noch, vor dem Duell. Was hätte der Held von Solferino in dieser Lage
getan? Carl Joseph fühlte den gebieterischen Blick des Großvaters im
Nacken. Der Held von Solferino diktierte dem zaghaften Enkel bündige
Entschlossenheit. Man mußte schreiben, sofort, auf der Stelle. Ja, man hätte
vielleicht sogar zum Vater fahren müssen. Zwischen dem toten Helden von
Solferino und dem unentschiedenen Enkel stand der Vater, der
Bezirkshauptmann, Hüter der Ehre, Wahrer des Erbteils. Lebendig und rot in
den Adern des Bezirkshauptmanns rollte noch das Blut des Helden von
Solferino. Es war, wenn man dem Vater nicht rechtzeitig berichtete, als
versuchte man, auch dem Großvater etwas zu verheimlichen.
Aber um diesen Brief zu schreiben, hätte man so stark sein müssen wie der
Großvater, so einfach, so entschieden, so nahe den Bauern von Sipolje. Man
war nur der Enkel! Dieser Brief unterbrach in einer schrecklichen Weise die
gemächliche Reihe der gewohnten wöchentlichen, gleichklingenden Berichte,
die in der Familie der Trottas die Söhne den Vätern immer geschrieben
hatten. Ein blutiger Brief; man mußte ihn schreiben.
Der Leutnant fuhr fort: »Ich hatte, allerdings gegen Mitternacht, einen
harmlosen Spaziergang mit der Frau unseres Regimentsarztes gemacht. Die
Situation ließ mir keine andere Möglichkeit. Kameraden sahen uns. Der
Rittmeister Tattenbach, der leider häufig betrunken ist, machte dem Doktor
gegenüber eine schäbige Anspielung. Morgen, sieben Uhr zwanzig früh,
schießen sich die beiden. Ich werde wahrscheinlich gezwungen sein, den
Tattenbach zu fordern, wenn er am Leben bleibt, wie ich hoffe. Die
Bedingungen sind schwer.
Dein treuer Sohn
Carl Joseph Trotta, Leutnant
Nachschrift: Vielleicht werde ich auch das Regiment verlassen müssen.«
Nun schien es dem Leutnant, das Schwerste sei überstanden. Als er aber
seinen Blick über den beschatteten Suffit wandern ließ, sah er auf einmal
wieder das mahnende Angesicht seines Großvaters. Neben dem Helden von
Solferino glaubte er auch das weißbärtige Angesicht des jüdischen
Schankwirts zu sehen, dessen Enkel der Regimentsarzt Doktor Demant war.
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik