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Radetzkymarsch
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den großen, alten Büchern, in denen er gelesen hat, steht der Satz: ›Wer die Hand gegen seinesgleichen erhebt, ist ein Mörder.‹ Morgen wird einer gegen mich eine Pistole erheben, und ich werde eine Pistole gegen ihn erheben. Und ich werde ein Mörder sein. Aber ich bin kurzsichtig, ich werde nicht zielen. Ich werde meine kleine Rache haben. Wenn ich die Brille abnehme, sehe ich gar nichts, gar nichts. Und ich werde schießen, ohne zu sehn! Das wird natürlicher sein, ehrlicher und ganz passend!« Der Leutnant Trotta begriff nicht vollkommen, was der Regimentsarzt sagte. Die Stimme des Doktors war ihm vertraut und, nachdem er sich an das Zivil des Freundes gewöhnt hatte, auch Gestalt und Angesicht. Aber aus einer ganz unermeßlichen Ferne kamen die Gedanken Doktor Demants, aus jener unermeßlich fernen Gegend, in der Demants Großvater, der weißbärtige König unter den jüdischen Schankwirten, gelebt haben mochte. Trotta strengte sein Gehirn an, wie einst in der Kadettenschule in der Trigonometrie, er begriff immer weniger. Er fühlte nur, wie sein frischer Glaube an die Möglichkeit, alles noch zu retten, allmählich matt wurde, wie seine Hoffnung langsam verglühte zu weißer, windiger Asche, ähnlich den verglimmenden Netzfäden über dem singenden Gasflämmchen. Sein Herz klopfte laut wie die hohlen, blechernen Schläge der Wanduhr. Er verstand den Freund nicht. Er war auch vielleicht zu spät gekommen. Vieles noch hatte er zu sagen. Aber seine Zunge lag schwer im Mund, von Gewichten belastet. Er öffnete die Lippen. Sie waren fahl, sie zitterten sachte, er konnte sie nur mit Mühe wieder schließen. »Du dürftest Fieber haben!« sagte der Regimentsarzt, genauso, wie er zu Patienten zu sprechen gewohnt war. Er klopfte an den Tisch, der Wirt kam mit neuen Schnapsgläsern. »Und du hast noch das erste nicht getrunken!« Trotta leerte gehorsam das erste Glas. »Zu spät hab’ ich den Schnaps entdeckt – schade!« sagte der Doktor. »Du wirst es nicht glauben: Es tut mir leid, daß ich nie getrunken habe.« Der Leutnant machte eine ungeheure Anstrengung, hob den Blick und starrte ein paar Sekunden dem Doktor ins Angesicht. Er hob das zweite Glas, es war schwer, die Hand zitterte und verschüttete ein paar Tropfen. Er trank in einem Zug; Zorn erglühte in seinem Innern, stieg in den Kopf, rötete sein Angesicht. »Ich werde also gehn!« sagte er. »Ich kann deine Witze nicht vertragen. Ich war froh, wie ich dich gefunden hab’! Ich war bei dir zu Haus. Ich habe geläutet. Ich bin vor den Friedhof gefahren. Ich hab’ deinen Namen durch das Tor hineingerufen wie ein Verrückter. Ich hab’ – – –« Er brach ab. Zwischen seinen bebenden Lippen formten sich lautlose Worte, taube Worte, taube Schatten von tauben Lauten. Plötzlich füllten sich seine Augen mit einem warmen Wasser, und ein lautes Stöhnen kam aus seiner Brust. Er 92
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Radetzkymarsch
Titel
Radetzkymarsch
Autor
Joseph Roth
Datum
1932
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
294
Schlagwörter
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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