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Radetzkymarsch
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gewöhnlichen Stimme, die ihn selbst verwunderte, sagte er ein gewöhnliches »Servus!« Er hatte nicht einmal den Handschuh ausgezogen. Schon fiel die Tür zu. Schon gab es keinen Doktor Demant mehr. Wie von einer unsichtbaren Hand gezogen, ging der Leutnant Trotta den gewohnten Weg in die Kaserne. Er hörte nicht mehr, wie über ihm im zweiten Stock ein Fenster aufgeklinkt wurde. Der Doktor beugte sich noch einmal hinunter, sah den Freund um die Ecke verschwinden, schloß das Fenster, entzündete alle Lichter im Zimmer, ging zum Waschtisch, schliff sein Rasiermesser, prüfte es am Daumennagel, seifte sein Gesicht ein, in aller Ruhe, wie jeden Morgen. Er wusch sich. Er nahm aus dem Schrank die Uniform. Er kleidete sich an, schnallte den Säbel um und wartete. Er nickte ein. Er schlief traumlos, ruhig, im breiten Lehnstuhl vor dem Fenster. Als er erwachte, war der Himmel über den Dächern schon hell, ein zarter Schimmer blaute über dem Schnee. Bald mußte es klopfen. Schon hörte er von fern das Klingeln eines Schlittens. Er näherte sich, er hielt. Jetzt schepperte die Glocke. Jetzt knarrte die Stiege. Jetzt klirrten die Sporen. Jetzt klopfte es. Jetzt standen sie im Zimmer, der Oberleutnant Christ und der Hauptmann Wangert vom Infanterieregiment der Garnison. Sie blieben in der Nähe der Tür, der Leutnant einen halben Schritt hinter dem Hauptmann. Der Regimentsarzt warf einen Blick zum Himmel. Als ein ferner Widerhall aus ferner Kindheit zitterte die erloschene Stimme des Großvaters: »Höre Israel«, sprach die Stimme, »der Herr, unser Gott, ist der einzige Gott!« – »Ich bin fertig, meine Herren!« sagte der Regimentsarzt. Sie saßen, ein wenig eng, im kleinen Schlitten; die Schellen klingelten mutig, die braunen Rösser hoben die gestutzten Schwänze und ließen große, runde, gelbe, dampfende Äpfel in den Schnee fallen. Der Regimentsarzt, dem alle Tiere zeit seines Lebens sehr gleichgültig gewesen waren, fühlte auf einmal Heimweh nach seinem Pferd. Es wird mich überleben! dachte er. Nichts verriet sein Angesicht. Seine Begleiter schwiegen. Sie hielten etwa hundert Schritte vor der Lichtung. Bis zum »Grünen Platz« gingen sie zu Fuß. Schon war der Morgen da, aber die Sonne noch nicht aufgegangen. Still standen die Tannen, den Schnee auf den Ästen trugen sie stolz, schmal und aufrecht. Von ferne her krähten die Hähne Ruf und Widerruf. Tattenbach sprach laut mit seinen Begleitern. Der Oberarzt Doktor Mangel ging hin und her zwischen den Parteien. »Meine Herren!« sagte eine Stimme. In diesem Augenblick nahm der Regimentsarzt Doktor Demant umständlich, wie er immer gewohnt war, die Brille ab und legte sie sorgfältig auf einen breiten Baumstumpf. Merkwürdigerweise sah er dennoch vor sich deutlich seinen Weg, den angewiesenen Platz, die Distanz zwischen sich und 97
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Radetzkymarsch
Titel
Radetzkymarsch
Autor
Joseph Roth
Datum
1932
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
294
Schlagwörter
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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