Seite - 142 - in Radetzkymarsch
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Sonst pflege ich hier nur zu arbeiten.«
»Sie arbeiten?« fragte der Bezirkshauptmann. »Ja«, sagte Chojnicki, »ich
arbeite. Ich arbeite sozusagen zum Spaß. Ich setze nur die Tradition meiner
Vorfahren fort, ich meine es, offen gestanden, gar nicht immer so ernst, wie es
noch mein Großvater gemeint hat. Die Bauern dieser Gegend haben ihn für
einen mächtigen Zauberer gehalten, und vielleicht ist er auch einer gewesen.
Mich selbst halten sie auch für einen, ich bin es nicht. Es ist mir bis jetzt noch
nicht gelungen, auch nur ein Stäubchen herzustellen!«
»Ein Stäubchen?« fragte der Bezirkshauptmann, »wovon ein Stäubchen?«
»Von Gold natürlich!« sagte Chojnicki, als handele es sich um die
selbstverständlichste Sache von der Welt.
»Ich verstehe was von Chemie«, fuhr er fort, »es ist ein altes Talent in
unserer Familie. Ich habe hier an den Wänden, wie Sie sehen, die ältesten und
die modernsten Apparate.« Er zeigte auf die Wände. Der Bezirkshauptmann
sah sechs Reihen hölzerner Regale an jeder Wand. Auf den Regalen standen
Mörser, kleine und große Papiersäckchen, gläserne Behälter wie in
altertümlichen Apotheken, merkwürdige Kugeln aus Glas, gefüllt mit bunten
Flüssigkeiten, Lämpchen, Gasbrenner und Röhren.
»Sehr seltsam, seltsam, seltsam!« sagte Herr von Trotta.
»Und ich kann selber nicht genau sagen«, fuhr Chojnicki fort, »ob ich es
ernst meine oder nicht. Ja, manchmal ergreift mich die Leidenschaft, wenn ich
am Morgen hierherkomme, und ich lese in den Rezepten meines Großvaters
und gehe hin und probiere und lache mich selber aus und gehe fort. Und
komme immer wieder her und probiere immer wieder.«
»Seltsam, seltsam!« wiederholte der Bezirkshauptmann.
»Nicht seltsamer«, sagte der Graf, »als alles andere, was ich sonst machen
könnte. Soll ich Kultus- und Unterrichtsminister werden? Man hat’s mir
nahegelegt. Soll ich Sektionschef im Ministerium des Innern werden? Man
hat’s mir ebenfalls nahegelegt. Soll ich an den Hof, ins Obersthofmeisteramt?
Auch das kann ich, Franz Joseph kennt mich – – –«
Der Bezirkshauptmann rückte seinen Stuhl um zwei Zoll zurück. Wenn
Chojnicki den Kaiser so vertraulich beim Namen nannte, als wäre er einer
jener lächerlichen Abgeordneten, die seit der Einführung des allgemeinen,
gleichen und geheimen Wahlrechts im Parlament saßen, oder als wäre er, im
besten Falle, schon tot und eine Figur der vaterländischen Geschichte, gab es
dem Bezirkshauptmann einen Stich ins Herz. Chojnicki verbesserte:
»Seine Majestät kennt mich!«
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik