Seite - 197 - in Radetzkymarsch
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den Wagen zurückfahren und ritt den Juden entgegen. Am Ausgang des
Dorfes, wo die breite Landstraße anhub, die zu seinem Quartier und zugleich
zum Kampfplatz führte, wallten sie ihm entgegen, eine finstere Wolke. Wie
ein Feld voll seltsamer, schwarzer Ähren im Wind neigte sich die Gemeinde
der Juden vor dem Kaiser. Ihre gebeugten Rücken sah er vom Sattel aus.
Dann ritt er näher und konnte die langen, wehenden, silberweißen,
kohlschwarzen und feuerroten Bärte unterscheiden, die der sanfte Herbstwind
bewegte, und die langen, knöchernen Nasen, die auf der Erde etwas zu suchen
schienen. Der Kaiser saß, im blauen Mantel, auf seinem Schimmel. Sein
Backenbart schimmerte in der herbstlichen, silbernen Sonne. Von den Feldern
ringsum erhoben sich die weißen Schleier. Dem Kaiser entgegen wallte der
Anführer, ein alter Mann im weißen, schwarzgestreiften Gebetmantel der
Juden, mit wehendem Bart. Der Kaiser ritt im Schritt. Des alten Juden Füße
wurden immer langsamer. Schließlich schien er auf einem Fleck
stehenzubleiben und sich dennoch zu bewegen. Franz Joseph fröstelte es ein
wenig. Er hielt plötzlich an, so, daß sein Schimmel bäumte. Er stieg ab. Sein
Gefolge ebenfalls. Er ging. Seine blankgewichsten Stiefel bedeckten sich mit
dem Staub der Landstraße und an den schmalen Rändern mit schwerem,
grauem Kot. Der schwarze Haufen der Juden wogte ihm entgegen. Ihre
Rücken hoben und senkten sich. Ihre kohlschwarzen, feuerroten und
silberweißen Bärte wehten im sanften Wind. Drei Schritte vor dem Kaiser
blieb der Alte stehen. Er trug eine große purpurne Thorarolle in den Armen,
geziert von einer goldenen Krone, deren Glöckchen leise läutete. Dann hob
der Jude die Thorarolle dem Kaiser entgegen. Und sein wildbewachsener,
zahnloser Mund lallte in einer unverständlichen Sprache den Segen, den die
Juden zu sprechen haben beim Anblick eines Kaisers. Franz Joseph neigte
den Kopf. Über seine schwarze Mütze zog feiner, silberner Altweibersommer,
in den Lüften schrien die wilden Enten, ein Hahn schmetterte in einem fernen
Gehöft. Sonst war es ganz still. Aus dem Haufen der Juden stieg ein dunkles
Gemurmel empor. Noch tiefer beugten sich ihre Rücken. Wolkenlos,
unendlich spannte sich der silberblaue Himmel über der Erde. »Gesegnet bist
du!« sagte der Jude zum Kaiser. »Den Untergang der Welt wirst du nicht
erleben!« Ich weiß es! dachte Franz Joseph. Er gab dem Alten die Hand. Er
wandte sich um. Er bestieg seinen Schimmel.
Er trabte nach links über die harten Schollen der herbstlichen Felder,
gefolgt von seiner Suite. Der Wind trug ihm die Worte zu, die Rittmeister
Kaunitz zu seinem Freund an der Seite sprach: »Ich hab’ keinen Ton von dem
Juden verstanden!« Der Kaiser wandte sich im Sattel um und sagte: »Er hat
auch nur zu mir gesprochen, lieber Kaunitz!« und ritt weiter.
Er verstand nichts vom Sinn der Manöver. Er wußte nur, daß die »Blauen«
gegen die »Roten« kämpften. Er ließ sich alles erklären. »So, so«, sagte er
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik