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Radetzkymarsch
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Herr von Trotta zum erstenmal, seitdem er Hosen trug, abscheuliche Querfalten. Er betrachtete sich eine Weile im Spiegel. Und er sah, daß sein Backenbart zerzaust war und daß sich ein paar kümmerliche, graue Härchen auf seiner Glatze ringelten und daß seine stichligen Augenbrauen kreuz und quer durcheinanderstanden, als wäre ein kleiner Sturm über sie hingegangen. Der Bezirkshauptmann schaute auf die Uhr. Und da der Friseur bald kommen mußte, beeilte er sich, die Kleider abzulegen und geschwind ins Bett zu schlüpfen, um dem Barbier einen normalen Morgen vorzutäuschen. Aber den Brief behielt er in der Hand. Und er hielt ihn, während er eingeseift und rasiert wurde, und später, als er sich wusch, lag der Brief am Rande des Tischchens, auf dem das Waschbecken stand. Erst als sich Herr von Trotta zum Frühstück setzte, übergab er den Brief dem Amtsdiener und befahl, ihn zusammen mit der nächsten Dienstpost abgehen zu lassen. Er ging, wie jeden Tag, an seine Arbeit. Und niemand wäre imstande gewesen zu erkennen, daß Herr von Trotta seinen Glauben verloren hatte. Denn die Sorgfalt, mit der er heute seine Geschäfte erledigte, war keineswegs eine geringere als an anderen Tagen. Nur war diese Sorgfalt eine ganz, ganz andere. Sie war lediglich die Sorgfalt der Hände, der Augen, des Zwickers sogar. Und Herr von Trotta glich einem Virtuosen, in dem das Feuer erloschen, in dessen Seele es taub und leer geworden ist und dessen Finger nur noch in kalter, seit Jahren erworbener Dienstfertigkeit dank ihrem eigenen toten Gedächtnis richtige Klänge erzeugen. Aber niemand bemerkte es, wie gesagt. Und am Nachmittag kam, wie gewöhnlich, der Wachtmeister Slama. Und Herr von Trotta fragte ihn: »Sagen Sie, lieber Slama, haben Sie eigentlich wieder geheiratet?« Er wußte selbst nicht, warum er diese Frage heute stellte und warum ihn plötzlich das Privatleben des Gendarmen etwas anging. »Nein, Herr Baron!« sagte Slama. »Ich werde auch nicht mehr heiraten!« »Da haben Sie recht!« sagte Herr von Trotta. Aber er wußte auch nicht, weshalb der Wachtmeister mit seinem Entschluß, nicht wieder zu heiraten, recht haben sollte. Das war die Stunde, in der er täglich im Kaffeehaus erschien, und also begab er sich auch heute dorthin. Das Schachbrett stand schon auf dem Tisch, Doktor Skowronnek kam zu gleicher Zeit, sie setzten sich. »Schwarz oder weiß, Herr Bezirkshauptmann?« fragte der Doktor wie alle Tage. »Nach Belieben!« sagte der Bezirkshauptmann. Und sie begannen zu spielen. Herr von Trotta spielte heute sorgfältig, andächtig beinahe, und gewann. »Sie werden ja allmählich ein wahrer Schachmeister!« sagte Skowronnek. Der Bezirkshauptmann fühlte sich wahrhaftig geschmeichelt. »Vielleicht hätte ich einer werden können!« erwiderte er. Und er dachte, daß es besser gewesen wäre, daß alles besser gewesen wäre. 216
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Radetzkymarsch
Titel
Radetzkymarsch
Autor
Joseph Roth
Datum
1932
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
294
Schlagwörter
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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