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Radetzkymarsch
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Trotta trank. Das kahle Zimmer wurde heimlicher. Die nackte elektrische Birne am geflochtenen Draht, umschwirrt von Nachtfaltern, geschaukelt vom nächtlichen Wind, weckte in der bräunlichen Politur des Tisches trauliche, flüchtige Reflexe. Allmählich verwandelte sich auch Trottas Enttäuschung in wohliges Weh. Er schloß eine Art Bündnis mit seinem Kummer. Alles in der Welt war heute im höchsten Maße traurig, und der Leutnant war der Mittelpunkt dieser erbärmlichen Welt. Für ihn lärmten heute so jämmerlich die Frösche, und auch die schmerzerfüllten Grillen wehklagten für ihn. Seinetwegen füllte sich die Frühlingsnacht mit einem so gelinden, süßen Weh, seinetwegen standen die Sterne so unerreichbar hoch am Himmel, und ihm allein blinkte ihr Licht so vergeblich sehnsüchtig zu. Der unendliche Schmerz der Welt paßte vollkommen zu dem Elend Trottas. Er litt in vollendeter Eintracht mit dem leidenden All. Hinter der tiefblauen Schale des Himmels sah Gott selbst auf ihn mitleidig hernieder. Trotta öffnete noch einmal den Kasten. Da hing, gestorben für immer, der freie Trotta. Daneben blinkte der Säbel Max Demants, des toten Freundes. Im Koffer lag das Andenken des alten Jacques, die steinharte Wurzel, neben den Briefen der toten Frau Slama. Und auf dem Fensterbrett lagen nicht weniger als drei nicht geöffnete Briefe seines Vaters, der vielleicht auch schon gestorben war! Ach! Der Leutnant Trotta war nicht nur traurig und unglücklich, sondern auch schlecht, ein grundschlechter Charakter! Carl Joseph kehrte an den Tisch zurück, schenkte sich noch ein Glas ein und leerte es auf einen Zug. Im Korridor, vor der Tür, begann eben Onufrij, ein neues Lied auf der Mundharmonika zu blasen, das wohlbekannte Lied. »Oh, unser Kaiser … « Die ersten ukrainischen Worte kannte Trotta nicht mehr: »Oj nasch cisar, cisarewa.« Es war ihm nicht gelungen, die Landessprache zu erlernen. Er war nicht nur ein grundschlechter Charakter, sondern auch ein müder, törichter Kopf. Und kurz und gut: Sein ganzes Leben war verfehlt! Seine Brust preßte sich zusammen, die Tränen quollen schon in seiner Kehle, bald würden sie in die Augen steigen. Und er trank noch ein Glas, um ihnen den Weg zu erleichtern. Schließlich brachen sie aus seinen Augen. Er legte die Arme auf den Tisch, bettete den Kopf in die Arme und begann, jämmerlich zu schluchzen. So weinte er wohl eine Viertelstunde. Er hörte nicht, daß Onufrij sein Spiel unterbrochen hatte und daß er an die Tür klopfte. Erst als sie ins Schloß fiel, hob er den Kopf. Und er erblickte Kapturak. Es gelang ihm, die Tränen zurückzuhalten und mit einer scharfen Stimme zu fragen: »Wie kommen Sie hierher?« Kapturak, die Mütze in der Hand, stand hart an der Tür; er ragte nur wenig über die Klinke. Sein gelblichgraues Angesicht lächelte. Er war grau angezogen. Er trug Schuhe aus grauer Leinwand. Ihre Ränder zeigten den grauen, frischen, glänzenden Frühlingsschlamm der Straßen dieses Landes. 224
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Radetzkymarsch
Titel
Radetzkymarsch
Autor
Joseph Roth
Datum
1932
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
294
Schlagwörter
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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