Seite - 233 - in Radetzkymarsch
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diktierte ihm Zorn gegen den Diener. Er selbst, der Leutnant, war oft nach
Wien gefahren – und in Zivil und ohne Erlaubnis. Vielleicht hatte der Bursche
sich nur nach dem Beispiel seines Herrn aufgeführt. Vielleicht hat Onufrij ein
Mädchen, es wartet auf ihn, dachte der Leutnant weiter. Ich werd’ ihn
einsperren, bis er blau wird! dachte der Leutnant Trotta. Aber gleichzeitig
spürte er wohl, daß er diese Phrase nicht selbständig gedacht und nicht ernst
gemeint hatte. Es war eine mechanische Wendung, ewig parat in seinem
militärischen Gehirn, eine von den zahllosen mechanischen Wendungen, die
in den militärischen Gehirnen Gedanken ersetzen und Entscheidungen
vorwegnehmen.
Nein, der Bursche Onufrij hatte kein Mädchen in seinem Dorf. Er hatte
viereinhalb Morgen Feld, von seinem Vater ererbt, von seinem Schwager
verwaltet, und zwanzig goldene Zehn-Kronen-Dukaten in der Erde vergraben,
neben der dritten Weide vor der Hütte links, auf dem Pfad, der zum Nachbarn
Nikofor führte. Der Bursche Onufrij hatte sich noch vor dem Aufgang der
Sonne erhoben, Montur und Stiefel des Leutnants geputzt, die Stiefel vor die
Tür gestellt und die Montur über den Sessel gehängt. Er nahm seinen Knüppel
aus Weichselholz und begann, nach Burdlaki zu marschieren. Er ging den
schmalen Pfad entlang, auf dem die Weiden wuchsen, auf dem einzigen Weg,
der die Trockenheit des Bodens anzeigte. Denn die Weiden verbrauchten alle
Feuchtigkeit des Sumpfes. Zu beiden Seiten des schmalen Wegs, den er ging,
stiegen die grauen, vielgestaltigen und gespenstischen Nebel des Morgens
auf, wallten ihm entgegen und zwangen ihn, sich zu bekreuzigen.
Unaufhörlich murmelte er mit zitternden Lippen das Vaterunser. Dennoch war
er guten Mutes. Jetzt kamen links die großen, schiefergedeckten Magazine der
Eisenbahn und trösteten ihn einigermaßen, weil sie auf dem Platz standen, auf
dem er sie erwartet hatte. Er bekreuzigte sich noch einmal, diesmal aus
Dankbarkeit für die Güte Gottes, welche die Magazine der Eisenbahn an
ihrem gewohnten Platz stehengelassen hatte. Er erreichte das Dorf Burdlaki
eine Stunde nach Sonnenaufgang. Seine Schwester und sein Schwager waren
schon auf den Feldern. Er betrat die väterliche Hütte, in der sie wohnten. Die
Kinder schliefen noch, in den Wiegen, die am Plafond aufgehängt waren, mit
dicken Seilen, an mehrfach gewundenen, eisernen Haken. Er nahm Spaten
und Harke aus dem Gemüsegärtchen hinter dem Haus und begab sich auf die
Suche nach der dritten Weide links von der Hütte. Am Ausgang stellte er sich
auf, den Rücken der Tür zugewandt und das Auge gegen den Horizont
gerichtet. Es dauerte eine Weile, bis er sich bewiesen hatte, daß sein rechter
Arm der rechte, sein linker der linke war, dann ging er links, bis zur dritten
Weide, in der Richtung zum Nachbarn Nikofor. Hier begann er zu graben.
Von Zeit zu Zeit warf er einen Blick ringsum, um sich zu überzeugen, daß
ihm niemand zusehe. Nein! Niemand sah, was er tat. Er grub und grub. Die
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik