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in jener berühmten Konditorei aufzustöbern, in der sich die genäschigen und
heiteren Würdenträger des Reiches gelegentlich am Nachmittag einfanden.
Daß sein Vorhaben unausführbar sei, hörte der Bezirkshauptmann heute schon
zum fünfzehntenmal. Aber er blieb unerschütterlich. Und die silberne Würde
seines Alters und die leicht sonderbare und etwas wahnwitzige Festigkeit, mit
der er von seinem Sohne sprach und von der Gefahr, die seinem Namen
drohte, die Feierlichkeit, mit der er seinen verschollenen Vater den Helden
von Solferino nannte und nicht anders, den Kaiser Seine Majestät und nicht
anders, bewirkten in den Zuhörern, daß ihnen selbst das Vorhaben Herrn von
Trottas allmählich gerecht und fast selbstverständlich vorkam. Wenn es nicht
anders ging, sagte dieser Bezirkshauptmann aus W., würde er, ein alter Diener
Seiner Majestät, der Sohn des Helden von Solferino, sich vor den Wagen
werfen, in dem der Kaiser jeden Vormittag von Schönbrunn in die Hofburg
fuhr, wie ein gewöhnlicher Markthelfer vom Naschmarkt. Er, der
Bezirkshauptmann Franz von Trotta, mußte die ganze Angelegenheit ordnen.
Nun war er dermaßen begeistert von seiner Aufgabe, mit Hilfe des Kaisers die
Ehre der Trottas zu retten, daß es ihm vorkam, durch diesen Unfall seines
Sohnes, wie er die ganze Affäre für sich nannte, hätte sein langes Leben erst
den rechten Sinn bekommen. Ja, dadurch allein hatte es seinen Sinn
bekommen.
Es war schwer, das Zeremoniell zu durchbrechen. Man sagte es ihm
fünfzehnmal. Er antwortete, daß sein Vater, der Held von Solferino, das
Zeremoniell ebenfalls durchbrochen hatte. »So, mit der Hand, hat er Seine
Majestät an der Schulter gepackt und niedergerissen!« sagte der
Bezirkshauptmann. Er, der nur mit leisem Schaudern heftige oder
überflüssige Bewegungen an andern wahrnehmen konnte, erhob sich selbst,
griff nach der Schulter des Herrn, dem er die Szene gerade schilderte, und
versuchte, die historische Lebensrettung an Ort und Stelle zu spielen. Und
keiner lächelte. Und man suchte nach einer Möglichkeit, das Zeremoniell zu
umgehen.
Er ging in einen Papierladen, kaufte einen Bogen vorschriftsmäßigen
Kanzleipapiers, ein Fläschchen Tinte und eine Stahlfeder, Marke Adler, die
einzige, mit der er schreiben konnte. Und mit fliegender Hand, aber mit seiner
gewöhnlichen Schrift, die noch die Gesetze von »Haar und Schatten« streng
einhielt, setzte er das vorschriftsmäßige Gesuch an Seine K. und K.
Apostolische Majestät auf, und er zweifelte nicht einen Augenblick, das heißt:
Er gestattete sich nicht, einen Augenblick daran zu zweifeln, daß es »im
günstigen Sinne« erledigt würde. Er wäre bereit gewesen, Montenuovo selbst
mitten in der Nacht zu wecken. Im Laufe dieses Tages war nach der
Auffassung Herrn von Trottas die Sache seines Sohnes zu der des Helden von
Solferino und somit zu einer Sache des Kaisers geworden: gewissermaßen zur
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik