Seite - 248 - in Radetzkymarsch
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stehn, den Krappenhut an der rechten Hüfte, die linke, weißblendende Hand
am goldenen Degengriff, das Angesicht gegen die Tür des Zimmers starr
gerichtet, in dem der Kaiser saß. So stand er wohl zwei Minuten. Durch die
offenen Fenster wehten die goldenen Glockenschläge entfernter Turmuhren
herein. Da gingen auf einmal die zwei Flügel der Tür auf. Und mit gerecktem
Kopf, vorsichtigen, lautlosen und dennoch festen Schritten trat der
Bezirkshauptmann vor. Er machte eine tiefe Verbeugung und verharrte ein
paar Sekunden so, das Angesicht gegen das Parkett und ohne einen
Gedanken. Als er sich erhob, war die Tür hinter seinem Rücken geschlossen.
Vor ihm, hinter dem Schreibtisch, stand Kaiser Franz Joseph, und es war dem
Bezirkshauptmann, als stünde hinter dem Schreibtisch sein älterer Bruder. Ja,
der Backenbart Franz Josephs war etwas gelblich, um den Mund besonders,
aber im übrigen genauso weiß wie der Backenbart Herrn von Trottas. Der
Kaiser trug die Uniform eines Generals, und der Herr von Trotta die Uniform
eines Bezirkshauptmanns. Und sie glichen zwei Brüdern, von denen der eine
ein Kaiser, der andere ein Bezirkshauptmann geworden war. Sehr menschlich,
wie diese ganze, in den Protokollen niemals verzeichnete Audienz Herrn von
Trottas beim Kaiser, war die Bewegung, die Franz Joseph in diesem
Augenblick vollführte. Da er befürchtete, ein Tropfen könnte an seiner Nase
hängen, zog er sein Taschentuch aus der Hosentasche und fuhr damit über den
Schnurrbart. Er warf einen Blick auf den Akt. Aha, der Trotta! dachte er.
Gestern hatte er sich die Notwendigkeit dieser plötzlichen Audienz erklären
lassen, aber nicht genau zugehört. Seit Monaten schon hörten die Trottas nicht
auf, ihn zu belästigen. Er erinnerte sich, daß er bei den Manövern den
jüngsten Abkömmling dieser Familie gesprochen hatte. Es war ein Leutnant,
ein merkwürdig blasser Leutnant gewesen. Dies hier war gewiß sein Vater!
Und schon hatte der Kaiser wieder vergessen, ob ihm der Großvater oder der
Vater des Leutnants das Leben in der Schlacht bei Solferino gerettet hatte.
War der Held von Solferino plötzlich Bezirkshauptmann geworden? Oder war
es gar der Sohn des Helden von Solferino? Und er stützte sich mit den
Händen auf den Schreibtisch. »Na, mein lieber Trotta?« fragte er. Denn es
war seine kaiserliche Pflicht, seine Besucher verblüffenderweise beim Namen
zu kennen. »Majestät!« sagte der Bezirkshauptmann und verbeugte sich noch
einmal tief: »Ich bitte um Gnade für meinen Sohn!« »Was für einen Sohn hat
Er?« fragte der Kaiser, um Zeit zu gewinnen und nicht sofort zu verraten, daß
er in der Familiengeschichte der Trottas nicht bewandert war. »Mein Sohn ist
Leutnant bei den Jägern in B.«, sagte Herr von Trotta. »Ah so, ah so!« sagte
der Kaiser. »Das ist der junge Mann, den ich bei den letzten Manövern
gesehen hab’! Ein braver Mensch!« Und weil sich seine Gedanken ein wenig
verwirrten, fügte er hinzu: »Er hat mir beinah das Leben gerettet. Oder waren
Sie es?«
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik