Seite - 258 - in Radetzkymarsch
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alle natürlichen Fichten im Nu in künstliche. Denn sie waren dichter und
überzeugender als das Grün der Natur.
Am Himmel über dem Wald waren unterdessen die längst erwarteten
Wolken heraufgezogen. Der Donner kam immer näher, aber die
Militärkapellen übertönten ihn. Als der Abend über Zelte, Wagen, Konfetti
und Tanz hereinbrach, zündete man die Lampions an, und man bemerkte
nicht, daß sie von plötzlichen Windstößen stärker geschaukelt wurden, als es
sich für festliche Lampions schicken mochte. Das Wetterleuchten, das immer
heftiger den Himmel erhellte, konnte sich mit dem Feuerwerk, das die
Mannschaft hinter dem Wäldchen abknallte, noch lange nicht vergleichen.
Und man war allgemein geneigt, die Blitze, die man zufällig bemerkte, für
mißlungene Raketen zu halten. »Es gibt ein Gewitter!« sagte plötzlich einer.
Und das Gerücht vom Gewitter begann sich im Wäldchen zu verbreiten.
Man rüstete also zum Aufbruch und begab sich zu Fuß, zu Pferde und im
Wagen in das Haus Chojnickis. Alle Fenster standen offen. Der Glanz der
Kerzen strömte frei, im mächtigen, flackernden Fächerschein gegen die weite
Allee, vergoldete den Boden und die Bäume, die Blätter sahen aus wie Metall.
Es war noch zeitig, aber schon dunkel, dank den Heerscharen der Wolken, die
von allen Seiten gegeneinanderrückten und sich vereinigten. Vor dem
Eingang zum Schloß in der breiten Allee und auf dem ovalen, kiesbestreuten
Vorplatz sammelten sich jetzt die Pferde, die Wagen, die Gäste, die bunten
Frauen und die noch bunteren Offiziere. Die Reitpferde, von Soldaten am
Zaun gehalten, und die Wagenpferde, von den Kutschern mühsam gezügelt,
wurden ungeduldig; wie ein elektrischer Kamm strich der Wind über ihr
glänzendes Fell, sie wieherten ängstlich nach dem Stall und scharrten den
Kies mit zitternden Hufen. Auch den Menschen schien sich die Aufregung
der Natur und der Tiere mitzuteilen. Die munteren Zurufe, mit denen sie noch
vor einigen Minuten Ball gespielt hatten, erstarben. Alle sahen, etwas
ängstlich, zu den Türen und Fenstern. Jetzt ging die große, zweiflügelige Tür
auf, und man begann, sich in Gruppen dem Eingang zu nähern. Sei es nun,
daß man mit den zwar nicht ungewöhnlichen, aber dennoch den Menschen
immer wieder erregenden Vorgängen des Gewitters zu sehr beschäftigt war,
sei es, daß man von den verworrenen Klängen der beiden Militärkapellen
abgelenkt wurde, die bereits im Innern des Hauses ihre Instrumente zu
stimmen begannen: Niemand vernahm den rapiden Galopp der Ordonnanz,
die jetzt auf den Vorplatz heransprengte, mit plötzlichem Ruck anhielt und in
ihrer dienstlichen Adjustierung, mit blinkendem Helm, umgeschnalltem
Karabiner am Rücken und Patronentaschen am Gurt, umflackert von weißen
Blitzen und von violetten Wolken umdüstert, einem theatralischenKriegsboten
nicht unähnlich war. Der Dragoner stieg ab und erkundigte sich nach dem
Obersten Festetics. Es hieß, der Oberst sei schon drinnen. Einen Augenblick
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik