Seite - 270 - in Radetzkymarsch
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gleicht so ein Abschied einer – einer – Desertion.«
»Die ganze Armee ist desertiert«, antwortete Carl Joseph.
Er verließ seinen Platz. Er begann, auf und ab durchs Zimmer zu gehen, die
Linke am Rücken, mit der Rechten begleitete er seine Erzählung. Vor vielen
Jahren war der Alte so durch das Zimmer gegangen. Eine Fliege summte, die
Wanduhr tickte. Die Sonnenstreifen auf dem Teppich wurden immer stärker,
die Sonne stieg schnell höher, sie mußte schon hoch am Himmel stehen. Carl
Joseph unterbrach seine Erzählung und warf einen Blick auf den
Bezirkshauptmann. Der Alte saß, beide Hände hingen schlaff und
halbverdeckt von den steifen, runden, glänzenden Manschetten an den
Armlehnen. Sein Kopf sank auf die Brust, und die Flügel seines Bartes ruhten
auf den Rockklappen. Er ist jung und töricht, dachte der Sohn. Er ist ein
lieber, junger Tor mit weißen Haaren. Ich bin vielleicht sein Vater, der Held
von Solferino. Ich bin alt geworden, er ist nur bejahrt. Er ging auf und ab, und
er erläuterte: »Die Monarchie ist tot, sie ist tot!« schrie er auf und blieb still.
»Wahrscheinlich!« murmelte der Bezirkshauptmann.
Er klingelte und befahl dem Amtsdiener: »Sagen Sie Fräulein Hirschwitz,
daß wir heute zwanzig Minuten später essen.«
»Komm!« sagte er, stand auf, nahm Hut und Stock. Sie gingen in den
Stadtpark.
»Frische Luft kann nicht schaden!« sagte der Bezirkshauptmann. Sie
vermieden den Pavillon, in dem das blonde Fräulein Soda mit Himbeer
ausschenkte. »Ich bin müde!« sagte der Bezirkshauptmann. »Wir wollen uns
setzen!« Zum erstenmal, seitdem Herr von Trotta in dieser Stadt amtierte,
nahm er auf einer gewöhnlichen Bank im Garten Platz. Er zeichnete sinnlose
Striche und Figuren mit dem Stock auf die Erde und sagte dazwischen:
»Ich war beim Kaiser. Ich hab’s dir eigentlich nicht sagen wollen. Der
Kaiser selbst hat deine Affäre erledigt. Kein Wort mehr darüber!«
Carl Joseph schob seine Hand unter den Arm des Vaters. Er fühlte jetzt den
mageren Arm des Alten wie vor Jahren beim abendlichen Spaziergang in
Wien. Er entfernte die Hand nicht mehr. Sie standen zusammen auf. Sie
gingen Arm in Arm nach Hause.
Fräulein Hirschwitz kam im sonntäglich grauseidenen Kleid. Ein schmaler
Streifen ihrer hohen Frisur über der Stirn hatte die Farbe ihres festlichen
Kleides angenommen. Sie hatte noch in aller Eile ein sonntägliches Essen
ermöglicht: Nudelsuppe, Rinderspitz und Kirschknödel.
Aber der Bezirkshauptmann verlor kein Wort darüber. Es war, als äße er ein
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik