Seite - 291 - in Radetzkymarsch
Bild der Seite - 291 -
Text der Seite - 291 -
der Sohn der Familie Stransky. Er hinkte, es war häßlich anzusehen. Er hinkte
sehr stark. Carl Joseph hat nicht gehinkt! dachte der Bezirkshauptmann. »Der
Alte soll im Sterben liegen!« sagte der Oberbahnrat Stransky plötzlich.
Da erhob sich der Bezirkshauptmann sofort und ging. Er wußte ja, daß der
Alte starb. Chojnicki hatte es gesagt, und Chojnicki hatte immer schon alles
gewußt. Der Bezirkshauptmann fuhr zu seinem Jugendfreund Smetana ins
Obersthofmeisteramt. »Der Alte stirbt!« sagte Smetana.
»Ich möchte nach Schönbrunn!« sagte Herr von Trotta. Und er fuhr nach
Schönbrunn.
Der unermüdliche, dünne Landregen hüllte das Schloß von Schönbrunn
ein, genau wie die Irrenanstalt Steinhof. Herr von Trotta ging die Allee hinan,
die gleiche Allee, über die er vor langer, langer Zeit gegangen war, zu der
geheimen Audienz, in Angelegenheit des Sohnes. Der Sohn war tot. Und auch
der Kaiser starb. Und zum erstenmal, seitdem Herr von Trotta die
Todesnachricht erhalten hatte, glaubte er zu wissen, daß sein Sohn nicht
zufällig gestorben war. Der Kaiser kann die Trottas nicht überleben! dachte
der Bezirkshauptmann. Er kann sie nicht überleben! Sie haben ihn gerettet,
und er überlebt die Trottas nicht.
Er blieb draußen. Er blieb draußen, unter den Leuten des niederen
Gesindes. Ein Gärtner aus dem Schönbrunner Park kam, in grüner Schürze,
den Spaten in der Hand, fragte die Umstehenden: »Was macht er jetzt?« Und
die Umstehenden, Förster, Kutscher, niedere Beamte, Portiers und Invaliden,
wie der Vater des Helden von Solferino einer gewesen war, antworteten dem
Gärtner: »Nichts Neues! Er stirbt!«
Der Gärtner entfernte sich, mit dem Spaten ging er dahin, die Beete
umgraben, die ewige Erde.
Es regnete, leise, dicht und immer dichter. Herr von Trotta nahm den Hut
ab. Die umstehenden niederen Hofbeamten hielten ihn für ihresgleichen oder
für einen der Briefträger vom Postamt Schönbrunn. Und der und jener sagte
zum Bezirkshauptmann: »Hast ihn gekannt, den Alten?«
»Ja«, erwiderte Herr von Trotta. »Er hat einmal mit mir gesprochen.«
»Jetzt stirbt er!« sagte ein Förster.
Um diese Zeit betrat der Geistliche mit dem Allerheiligsten das
Schlafzimmer des Kaisers.
Franz Joseph hatte neununddreißig drei, soeben hatte man ihn gemessen.
»So, so«, sagte er zum Kapuziner. »Das ist also der Tod!« Er richtete sich in
den Kissen auf. Er hörte das unermüdliche Geräusch des Regens vor den
291
zurück zum
Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik