Bewegung#
(Wie kommt die Kunst ins Johann Puch Museum? II)#
von Martin KruscheDas Jahr 2019 wurde zur Schnittstelle für einige Jubiläen und ein komplexes Vorhaben, das inzwischen von 2019 bis 2021 weist. Das prozeßhafte Arbeiten an kulturellen Aufgaben ist in solchen Zusammenhängen naheliegend. Diese Situation hat erst einmal folgende Referenzpunkte, welche prominente Teile jener Volksmotorisierung Europas sind, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg realisiert wurde: 60 Jahre Steyr-Puch Haflinger, 60 Jahre Puch DS 50, 50 Jahre Puch Maxi und 40 Jahre G-Klasse.
Das radikale Phänomen der Volksmotorisierung Europas zeigte umfassende Konsequenzen in allen Lebensbereichen, von denen die kulturellen Aspekte als Themen oft eher unterschätzt wurden. Hier setzt nun der Dialog zwischen Künstler Martin Krusche und Karlheinz Rathkolb, Direktor des Johann Puch Museum Graz, an.
Dieses Museum an historischem Ort, in der letzten originalen Halle des Stammwerks von Johann Puch, zeigt 2019 ein mehrstufiges Setting von Sonderausstellungen. Dazu wurde die Südseite der Halle in ganzer Breite zur Bühne gemacht, als spezielle Präsentationsfläche adaptiert. Dort stehen augenblicklich spezielle Exemplare der Puch G-Geschichte; so eines der ältesten erhaltenen Fahrzeuge (überdies ein Unikat), einer der bei uns seltenen Dreiachser (6x6) und das aktuelle Top-Modell der völlig neu gestalteten G-Klasse. Siehe dazu: „G-ordnete Angelegenheit“!
Mopeds#
Die Revolution individueller Mobilität begann Ende des 19. Jahrhundert mit dem Siegeszug des sogenannten Niederrades („Safety“), einer Basiskonstruktion des Fahrrades, die bis heute in Gebrauch ist. Danach: die spezielle Transformation, quasi ein Verzahnen von Fahrrad und Leichtmotorrad, bekam in den 1950er Jahren gesetzliche Bestimmungen, deren Befolgung das führerscheinfreie Fahren eines Kraftfahrzeugs möglich machte.So wurde der Fahrzeugtyp Moped zur Erfolgsgeschichte. Bei uns beispielsweise mit der 1954 erschienen Puch MS 50, deren erstes Baumuster noch etwas zu schwach gerieten. Kenner sagen: „Ich kenne keine frühe MS 50, die nicht geschweißt wäre. Aber der Motor ist super.“ Siehe zum Thema Moped: „Cobra in der Kurve“ (Ein paar Überlegungen zur Geschichte des Mopedismus)! Bezüglich Jubiläum: die heuer sechzigjährige Puch DS 50 ist im kontruktiven Kern ein MS 50-Upgrade. Das zehn Jahre darauf folgende Mofa Puch Maxi wurde ein nächster Mega-Erfolg von Marktführer Puch und gehört bis heute zu unserem Straßenbild.
Der Haflinger#
Parallel reüssierte der Steyr-Puch Haflinger ab 1959 erst als militärisches Nutzfahrzeug, bewährte sich dann in diversen Kommunaldiensten. Freilich stieg im wachsenden Wohlstand (während des Kalten Krieges) bald der Bedarf an weit mehr Ladekapazität. Über die Varianten der Steyr-Puch Pinzgauer führte der Weg zum 1979 erschienen Puch G, welcher durch die Kooperation mit Mercedes-Benz als G-Klasse bis heute läuft. Siehe dazu: „Das Haflinger-Projekt“!Wo dann die Haflinger ausgemustert wurden, waren sie erst vielfach billige Lastesel in privaten Händen und schafften von da aus eine zweite Karriere als Liebhaberstücke in der Sammler- und Schrauber-Szene. (Aktuell gehen Hafi-Preise durch die Decke.) Auf solchen Spuren rollen inzwischen auch alte Pinzgauer und G-Wagen, während die eben erst neu gestaltete G-Klasse eine andere Kategorie aufgemacht hat.
Ich schildere das so detailliert, weil das der zeitgeschichtliche Zusammenhang ist, in dem solche Fahrzeuge, alte Fahrräder, Mopeds und Autos (nebst Motorrädern) zu Objekten, genauer: zu Medien einer Volkskultur in der technischen Welt wurden.
Kultur#
Dieses kulturelle Phänomen wird in der Steiermark und österreichweit von einer hochkarätigen, vielschichtigen Szene gelebt und gepflegt; weitgehend unbehelligt von Feuilleton und Tourismus-Büros, was in Fragen einer Volkskultur ja die gute Nachricht ist.Bei solchen Aspekten liegt es nahe, die Verbindungen zwischen Volkskultur, Popkultur und Gegewartskunst zu untersuchen, weil es da gemeinsame Quellen gibt, weil sich manche Intentionen decken. Das meint freilich keine Untersuchung auf rein akademischer Ebene, sondern einen Dialog primärer Kräfte, also jener Leute, die das machen, was zu sehen ist. Handwerker, Schrauber, aber auch Kräfte aus Design, Marketing, Kunst etc. Siehe dazu vertiefend:
- „Volkskultur“ (Beiträge zu einer notwendigen Debatte. Eine kleine Übersicht)!
- „Was ist Kunst?“ (Einige Hinweise für unbeschwerte Zugänge)
Für solche kombinierten Themenstellungen ist das Johann Puch Museum Graz eine naheliegende Drehscheibe. Hier führen einige Ereignislinien zusammen, die von den Aktivitäten höchst unterschiedlicher Charaktere handeln. Das belegt schon diese aktuelle Projektsituation, basierend auf dem Dialog zwischen Rathkolb und Krusche.
Die aktuelle Projektentwicklung hatte zwei vorangegangene Markierungen, die das Thema Bewegung für kulturelle Museumsaktivitäten unterstreichen. Es geht um Facetten von Mobilität, die nicht bloß physisch, als Raumüberwindung, verstanden wird, sondern auch geistig:
- „In Bewegung bleiben“ (Die Museumsstraße der Mobiltätsmuseen)
- „Bewegungsdrang“ (Wie kommt die Kunst ins Johann Puch Museum?)
Prozeßhafte Arbeit#
Damit ist die Themenstellung gegeben, mit der nun im Grazer Puch-Museum ein mehrjähriges Programm entfaltet wird. Ausstellungen, Vorträgen, Konferenzen, Arbeitssituationen. Ein soziokultureller Prozeß, der im Internet dokumentiert wird. Dieses Setting ergibt sich im Kern daraus, daß der „Motor-Blog“ des Puch-Museums seit Jahren vom Kuratorium für triviale Mythen betreut wird. Das geht auf eine Veranstaltung vom 10. Mai 2012 zurück, genauer: auf die erste Kulturveranstaltung in dieser Halle nach rund hundert Jahren industrieller Produktion.Eine Buchpräsentation: „Das Puch-Buch“ (Einige Puch-Werke) von Martin Krusche und Michael Toson, Artwork von Jörg Vogeltanz, siehe: (Link) Diese Publikation ist auch online im Austria-Forum verfügbar, siehe: (Link)
Kunst, Kultur, Wissenschaft#
Kunst und Kunstfertigkeit sind zwei verschiedene Kategorien. Die freien Künste und die angewandten Formen werden stets neu verhandelt und geordnet. Dabei fließt auch manches ineinander. Seit der Antike kennen wir diese Debatten.Ob man bloß nach sinnlichen Eindrücken und persönlichem Geschmack geht, ob einen auch die Regeln der Kunst interessieren, steht jedem Menschen völlig frei. In diesem Zusammenhang ist es spannend, an der Schwelle der Vierten industriellen Revolution diverse Fragen nach der „Ehre des Handwerks“ zu stellen. Siehe dazu: „Industrielle Revolutionen“ (Ein kleiner Überblick)!
Wir beachten bei all dem nicht nur das Feld jener Leute aus der Praxis, die gebaut haben, was im Museum zu sehen ist. Wir blicken auch zu eigensinnigen Handwerkern, die verblüffende Unikate schaffen. Und wir ziehen ein Stück Meta-Ebene ein.
Dabei bildet Wissenschafter Hermann Maurer einen Angelpunkt. Der erfahrene Informatiker (TU Graz) schöpft dabei nicht nur aus den Erfahrungen seiner internationalen Karriere. Er befaßt sich auch mit kulturellen Fragen und mit Überlegungen zu unserer Zukunft.
Maurer und Krusche haben in den letzten Jahren einige Themenlinien bearbeitet, die als Hintergrundfolie der aktuellen Vorhaben dienen:
- „Mensch und Maschine“…
- …mit der Extra-Leiste „Automotive“ (Beiträge zu Umbrüchen einer Ära)
- „Kulturwandel durch Technik“
Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft#
So ergibt sich in der aktuellen Programmentwicklung ein inhaltliches Zusammenspiel von Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft, wobei wir die zeitgeschichtliche Dimension herausstellen, aber nicht bloß auf das 20. Jahrhundert blicken, sondern die letzten 200 Jahre permanenter technischer Revolution berücksichtigen. Siehe dazu die Notiz: „Zwischen Brandhof und Puchwerk“!Wir fragen bei sachkundigen Menschen nach, was es in der Gegenwart zu beachten gilt. Die Umbrüche sind fundamental und wir haben zum Glück eine Menge relevanter Kontakte, um hier zu einer realistischen Einschätzung zu kommen. Daraus leiten wir Annahmen über die nahe Zukunft ab. Das geschieht einerseits mit künstlerischen Mitteln, wofür uns verschiedene kreative Kräfte zur Seite stehen. Das geschieht andererseits durch diskursive Mittel, worin Wissenschafter Hermann Maurer nicht bloß reiche Erfahrung hat, sondern auch auf ein leistungsfähiges Netzwerk zugreifen kann.
Geschichtsbetrachtung#
Was nun den Rückblick angeht, auch eine aufschlußreiche Darstellung der Kräftespiele, die den Status quo herbeigeführt haben, läßt sich über die Steiermark sagen: Weltgeschichte berührt Regionalgeschichte. Was immer sich in diesen Dingen mit Weltrang ereignet hat, fand einerseits seinen Niederschlag in der Steiermark und hat hier seine Entsprechungen, andererseits haben aber auch inspirierte Menschen in der Steiermark so manches entwickelt, was Weltrang bekam.Das machen wir über verschiedene Publikationen deutlich. Jenes Album „Das Puch-Buch“ (Einige Puch-Werke) habe ich schon erwähnt. Es enthält, neben einer knappen Geschichte der historischen Steyr-Daimler-Puch AG, eine Serie von Bastelbögen, mit denen Techniker Michael Toson die wichtigsten Nachkriegsfahrzeuge der STDPAG greifbar macht.
In der Sache gibt es hier ein besonderes Extra. Toson entwickelt drei neue Bastelbögen für „Mythos Puch“. Dazu ist ein Prototyp für Fans jetzt schon als Gratis-Download im Web deponiert; siehe: (Link) Was umgangssprachlich als Puchwerk bezeichnet wird, die vormalige Puchwerke AG, wir gegenwärtig mit dem Werk Thondorf (Zweier-Werk) assoziiert. Dazu gibt es eine unverzichtbare Monographie von Erich Mayer, im Werk vormals für Personalfragen verantwortlich, ein Insider: „PUCH, Werk II – im Wandel der Zeit“ (Eine steirische Industriegeschichte).
Autor Martin Krusche und Kulturwissenschafter Matthias Marschik steuerten zu all dem eine Monographie über das Puch-Schammerl bei: „Die Geschichte des Steyr Puch 500“ (In Österreich weltbekannt). Und schließlich eine Schilderung der speziellen Ära danach, die inzwischen abgeschlossen und in sich völlig einzigartig ist: „Der kurze Sommer des Automobils“ (Erinnerungen an die Siebziger Jahre).
Dazu fügt sich ein Buch, an dem Krusche augenblicklich noch arbeitet und das im dritten Quartal 2019 erscheinen soll: „HAFLINGER – Eine kleine Kulturgeschichte des STEYR-PUCH Haflinger 700 AP“. Es erzählt nicht nur die Hafi-Geschichte, sondern auch den gesamten zeit- und technologiegeschichtlichen Zusammenhang.
Ab in die Praxis!#
Im Johann Puchmuseum Graz herrscht also nun „Bewegungsdrang“ zum gleichnamigen Vorhaben unter der Projektleitung von Karlheinz Rathkolb. Ein Beispiel für kollektive Wissens- und Kulturarbeit. Das hat seine Startphase in Wechselwirkung mit Martin Krusches „Mythos Puch VI“ als Teil von „Dorf 4.0“. Damit ist das ganze Vorhaben nicht bloß auf Graz fixiert, sondern hat Verzweigungen in die Region.Im virtuellen Raum bildet die Wissensplattform Austria-Forum eine angemessene Drehscheibe und sorgt für erhöhte Sichtbarkeit. Im Raum realer sozialer Begegnung ist es, wie erwähnt, das Museum. Zwischen diesen beiden kulturellen Brückenköpfen entfaltet sich das mehrjährige Projekt. Was speziell die Gegenwartskunst angeht, auch ihre Berührungspunkte mit angewandten Formen und Design, läuft die kuratorische Arbeit gerade an. Das wir dann auf einer eigenen Themenseite überschaubar gemacht.
Das Projekt im Museum#
- „Bewegungsdrang“ (Wie kommt die Kunst ins Johann Puch Museum?)
- Work in Progress
- 2019 bis 2021
- Projektleitung: Karlheinz Rathkolb
- Kultursektion: Martin Krusche
Mobilitätsgeschichte#