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407Patriotische
Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation
9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie
und parlamentarische Repräsentation im Vormärz
Die Rechtsgeschichtsforschung des Vormärz war ein Lieblingsthema
der älteren deutschen wissenschaftspatriotischen Literatur. Die Trieb-
feder dieser Arbeiten waren die »Ideen von 1914«, die angeblich dem
aufgeklärt-revolutionären Weltbürgertum, den »Ideen von 1789« den
Garaus machten. Die harte Gegenüberstellung von naturrechtlicher
»Aufklärung« und historischer »Romantik« hat in der Forschung lange
nachgewirkt, nicht zuletzt deshalb, weil sie den Regimebruch 1945
unbeschadet überstanden hat. Sie wurde intentional umgewertet, jetzt
stand das aufgeklärte Weltbürgertum politisch hoch im Kurs, während
die »historische« Romantik als Etappe auf dem »Sonderweg« zum Fa-
schismus verpönt war. Diese Pfade von der Aufklärung zur Romantik
verlaufen jenseits der Waldgrenze der Quellenarbeit – wer sie be-
schreitet, wandelt auf dem Gipfelkamm der älteren Geistesgeschichte.
Dagegen möchte ich im Folgenden die filigranen Verstrebungen
zwischen Naturrecht und patriotischer Rechtshistorie in den habs-
burgischen Ländern herausarbeiten. Auf diese Weise können die wis-
sensgeschichtlichen Übergänge feiner als bisher geortet werden, da-
neben erlaubt es dieser Zugang, den vormärzlichen Prozess selektiver
Rückübertragung zu erfassen, durch den die Aufklärung als »rationa-
listische« und »geschichtsfeindliche« Vorgängerepoche verfügbar ge-
macht wurde, von der man sich polemisch abgrenzen konnte. Darüber
hinaus rücken so die historischen Länder des Habsburgerreichs als
Rechtssubjekte in den Blick, deren Eigenstaatlichkeit gelehrte Patrio-
ten im Kontext der postjosephinischen Monarchie wiederentdeckten.
Indem sie die Selbstständigkeit und Eigenentwicklung ihrer Na-
tion oder ihres Stammes betonten, grenzten sich die »slawischen«
und »deutschen« Rechtshistoriker des Vormärz248 von der älteren
Kameraltechnik der Merkantilisten ab. Während die Merkantilisten
des 18. Jahrhunderts das imperiale Naturganze der Monarchie als Ta-
bleau transformierbarer Human- und Rohstoffressourcen erfasst hat-
ten, das dem Gleichgewichtsparadigma unterworfen war, verlagerten
die Rechtshistoriker das Wirken der Natur in den eigengesetzlichen,
248 Eingehend Franz L. Fillafer, Jenseits des Historismus. Gelehrte Verfahren,
politische Tendenzen und konfessionelle Muster in der Geschichtsschrei-
bung des österreichischen Vormärz, in: Christine Ottner, Klaus Ries (Hg.),
Geschichtsforschung in Deutschland und Österreich im 19. Jahrhundert:
Ideen – Akteure – Institutionen, Stuttgart 2014, 79-119.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513