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110 Die katholische Aufklärung
wie die politische Relevanz der newtonianischen Erkenntnisstrategie.
So wird greifbar, wie sich diese Erkenntnisform etablieren konnte und
dass sie im Zuge ihrer Verstetigung umgestaltet wurde: Das betraf
vor allem ihre Ausgangsbedingungen, die nach und nach ausgeblendet
wurden – so löste sich die Erforschung des Weltgefüges von der Got-
teserkenntnis, in die sie ursprünglich eingelassen gewesen war.
7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der
Gotteserkenntnis zur Weltstruktur
Für die Welterkenntnis der katholischen Aufklärer war der Newtonia-
nismus von zentraler Bedeutung, die Lehre Newtons gab ein kosmolo-
gisches Modell vor, das als übergreifendes, allgemeines Methodenpro-
gramm der Welterkenntnis, als Bildspender für Staatskunst, Ökonomik
und Sozialpragmatik zu fungieren begann.129 Die Newtonianer kons-
tituierten einen willkürfreien, regelmäßigen Objektbereich: »Die An-
nahme besonderer Wesenheiten der Dinge, die mit spezifischen verbor-
genen Kräften begabt sein sollen, ist gänzlich leer und nichtssagend.«130
Die Newtonianer fragten nicht mehr nach den Ursprüngen und
Zweck
ursachen des Universums, die Erforschung partikularer Na-
turprinzipien kam ohne Rückverweise auf Gott als letztbegründende
Schöpfungsinstanz aus.131
129 Prägnant Manolis Patiniotis, Newtonianism, in: Michael C. Horowitz (Hg.),
New Dictionary of the History of Ideas, Bd. IV, Machiavellism to Phreno-
logy, Detroit 2004, 1632-1638; Aloys Martin David, Das Leben Newtons,
zum Drucke befördert, da aus dem ersten Buche seiner Grundsätze der na-
türlichen Philosophie H. Aloys David, des Tepler Stifts Profeß sich einer
öffentlichen, dem Hochgebohrnen Reichsgrafen Christoph Hermann zu
Trautmannsdorf, und würdigsten Abten zu Tepel etc. gewidmeten Prüfung
in dem grossen Karoliner Hörsaale unterzog, Prag 1783. Das anonym ab-
gedruckte Titelmotto von Davids Büchlein entstammt Voltaires Épître à
Madame du Châtelet sur la philosophie de Newton. Weiters Luboš Nový,
Jan Tesánek a Newtonova Principia Mathematica Philosophiae Naturalis
[Jan Tesánek und Newtons Principia], in: DVT 35 (2002), 1-25.
130 Isaac Newton, Optice: Sive de Reflexionibus, Refractionibus, Inflexionibus
et Coloribus Lucis, Libri Tres […], Latine reddidit Samuel Clarke, A. M.
[…], Lausannae 1740, 326-327: »Affirmare singulas rerum species, specificis
praeditas esse qualitatibus occultis, per quas eae vim certam in agendo habe-
ant, certosque effectus manifestos producant; hoc utique est nihil dicere.«
131 Paul Mako, Compendiaria metaphysicae institutio quam in usum audito-
rum philosophiae elucubratus est P. Mako e S. I., Vindobonae 1761, Caput
XIII. De principio et causa, 97-110, §§ 192-218; Cassian Hallaschka, Ver-
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513