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IX. Was war Aufklärung?
Dieses Buch bietet eine doppelte Neuinterpretation der Aufklärung
und der inneren Verfasstheit des Habsburgerreichs. Im Folgenden
werden die Ergebnisse meiner Studie abschließend in die relevanten
Forschungszusammenhänge eingebettet.
1. Aufklärung und Moderne
Wer von der Aufklärung spricht, meint häufig eigentlich die säkular-
demokratische Moderne. Mein Buch zeigt einen Ausweg aus dieser
verkappten Modernedebatte auf, indem es die Tektonik und Trans-
formation der Aufklärung rekonstruiert. Damit wird greifbar, dass die
Aufklärung erst im Zeitalter der Französischen Revolution zu dem
wurde, als das sie uns heute selbstverständlich gilt: zur Wiege der mo-
dernen Welt.1
Die Aufklärung wird gemeinhin als Initialzündung der Verzeit-
lichung und Historisierung verstanden: Die Aufklärer begriffen die
Welt als geschichtlich geworden, sie grenzten die Gegenwart als eigen-
ständiges Zeitalter von der Vergangenheit ab und erfanden die offene
Zukunft, die nicht mehr in der Wiederholung der Muster bisheriger
Geschichte aufging.2 Während man nun häufig liest, dass die Aufklä-
1 Zur Aufklärung als Fundament der Moderne: Anthony Pagden, The Enlight-
enment and why it still matters, Oxford 2013; Manfred Geier, Aufklärung.
Das europäische Projekt, Reinbek 2013; Philipp Blom, Böse Philosophen.
Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung, München 2011;
Jonathan Israel, Radical Enlightenment. Philosophy and the Making of Mo-
dernity 1650-1750, Oxford 2002, zuletzt ders., Die Französische Revolution.
Ideen machen Politik, ü. v. U. Bossier, Ditzingen 2017. Als »abgeschlossene
Epoche« gilt die Aufklärung bei Andreas Pečar, Damien Tricoire, Falsche
Freunde. War die Aufklärung wirklich die Geburtsstunde der Moderne?
Frankfurt a. M. 2015. Dazu die pointierte Besprechung von Heinz Thoma,
Verdeckter Traditionalismus, in: IASLonline [http://www.iaslonline.de/in-
dex.php?vorgang_id=3949>] [12. 10. 2020]. Nuancierte Ein
wände gegen die
»Überforderung der Aufklärung« bei Daniel Fulda u. Hartmut Rosa, Die
Aufklärung – ein vollendetes Projekt?, in: ZfI 5 /4 (2011), 111-118.
2 Kosellecks These über die Aufklärer als Agenten der Verzeitlichung speiste
sich aus seiner kritischen Diagnose des utopisch-geschichtsphilosophischen
Gepräges der Aufklärung, vgl. Franz L. Fillafer, The Enlightenment on Trial.
Reinhart Koselleck’s Interpretation of Aufklärung, in: ders., Q. Edward
Wang (Hg.), The Many Faces of Clio. Cross-Cultural Approaches to His-
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513