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Joseph Lanner – Leben und Werk
Kaum hatte der Sommer seinen Abschied genommen – „Floras Abschied“ war ein gerne gebrauchter Titel
für das letzte Konzert im Garten, mit dem die Saison beendet wurde –, verlegte sich das Geschehen in das
Innere. „Mit dem Eintritte der kälteren Witterung werden die Lannerschen Reunionen im Wintersalone
des Volksgartens beginnen“145, lautete etwa eine entsprechende Ankündigung.
Im Aufbau folgten die Programme teils klassischen Vorbildern (in der Regel stand eine OuvertĂĽre am
Beginn), ein Quodlibet in der Mitte, Walzer und Galoppe in Abwechslung boten dem Publikum sowohl
Anklänge an das „seriöse“ Repertoire (ohne es allzu sehr zu überfordern) als auch entspannenden Genuss.
Die einzelnen StĂĽcke standen nie nur beziehungslos nebeneinander, sondern boten einen raffinierten
Aufbau, über den zuweilen ironisch berichtet wurde: „Er [Lanner, Anm. d. V.] zaubert seine Zuhörer mit
seinem kunstfertigen Bogen durch kräftige Kriegsmärsche aufs Schlachtfeld, von da führt er sie durch
eine Reihe schöner Ländler, bleibt dann plötzlich mit einem Quodlibet vor einer bombardirten musikali-
schen Festung stehen und lässt alle Schrecken des Kanonendonners los, und dieses bunte Spiel wird durch
eine Menge lautschallender Bravos unterbrochen.“146
Rege war Lanner auch abseits der Konzertpodien. Neben den beliebten Quodlibets wurden in Theatern
auch Einlagen in Zwischenakten gegeben; so spielte Lanner am 12. 4. 1831 im Theater an der Wien wäh-
rend der Zwischenakte der Posse „Tivoli“.147
1841 gab Otto Nicolai zusammen mit den Musikern der Wiener Hofoper das erste Konzert, das zugleich
die Geburtsstunde der Wiener Philharmoniker sein sollte. Der sich verfestigende Kanon des groĂźen Re-
pertoires, das standardisierte bĂĽrgerliche Konzertritual bildeten zugleich das Ende einer Konzertepoche,
in der die Übergänge zwischen ernst und unterhaltend fließend waren, wo es noch keinen Bildungszwang
gab, wo Musik unmittelbar erlebt, dankbar aufgenommen, aber auch gleichgĂĽltig abgelehnt werden
konnte. Der Anteil Lanners und Strauß’ an der Entwicklung des Konzertwesens in Wien kann nicht hoch
genug eingeschätzt werden, sie legten Qualitätsansprüche vor, die andere sich erst mühsam erarbeiten
mussten, und sie trugen das Bewusstsein für klassische Musik in breiteste Bevölkerungsschichten, ohne
welches das sich emanzipierende Bildungsbürgertum nie entstehen hätte können.
Lanners Konzerte waren Ereignisse, an denen Tausende teilhaben konnten. Geadelt durch die Anwesen-
heit sogar von Monarchen, die sich bei ihren Namensfesten gerne unter das Volk mischten, durfte Musik
unmittelbar erlebt werden. „Spectakel müssen sein“, dieser kaiserliche Spruch148 schwebte als Motto über
dem Volksgarten wie ĂĽber einem kleinen Kaffeehaussalon, wurde umrahmt von bunten Lampions in den
Bäumen, mündete in ein spektakuläres Feuerwerk zum Abschluss des Abends. Nie war Musik isoliert,
stets war sie Teil der Freizeitkultur, die eine Beethovensche OuvertĂĽre ungezwungen mit einem Glas Wein
und einer angenehmen Unterhaltung zu verbinden verstand.
Publikum
Wer hat sie nicht vor Augen, diese biedermeierlich-idyllischen Bilder der Schubertiaden, wo ein Kreis
bemĂĽhter Freunde traulich um ein Klavier versammelt ist, einer singt, einer spielt, und alles in allem
145 Theaterzeitung 6. 10. 1832.
146 Theaterzeitung 29. 12. 1832.
147 AMA 28. 4. 1831.
148 Er wird sowohl Kaiserin Maria Theresia als auch ihrem Sohn Joseph zugeschrieben. Zum einen war das durch die vielen
Kriege ausgelaugte Kaiserhaus zum Sparen gezwungen, zum anderen waren die diversen Vergnügungsstätten der Kirche
ein stetes Ärgernis. Dagegen hielten Herrscher, die zu genau wussten, dass eine kujonierte Bevölkerung ohne das Ventil der
„Spectakel“ auf revolutionäre Gedanken kommen konnte.
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Title
- Joseph Lanner
- Subtitle
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Author
- Wolfgang Dörner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Size
- 21.0 x 29.5 cm
- Pages
- 752
- Keywords
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, Tänze
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der AbkĂĽrzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn – Werden – Sein 21
- Vorläufer – Mitläufer – Nachfolger 23
- Tanz 28
- Bälle – Tanzstätten – Aufführungsorte 32
- Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester 39
- Akademie – Assemblée – Conversation – Piquenique – Réunion 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- Widmungsträger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen – Bibliotheken – Sammlungen 101
- Funktionalität – Autonomie – Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik – Biedermeier 108
- Strahlender Stern – leuchtender Stern 112
- Rezension – Rezeption 113
- FlĂĽchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang