Page - 115 - in Joseph Lanner - Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
Image of the Page - 115 -
Text of the Page - 115 -
115
FlĂĽchtige Lust
FlĂĽchtige Lust
„Flüchtige Lust“ ist der Titel eines frühen Lannerwalzers (op. 46, aus 1830), mit „Flüchtige Lust“ war die
groĂźe Lannerausstellung 2001 in Wien ĂĽberschrieben.
Eine Liste der wichtigsten Komponisten Wiens in den DreiĂźiger-Jahren des 19. Jahrhunderts ernĂĽchtert:
Beethoven und Schubert waren tot, die Werke des einen wurden vermehrt gespielt, die des anderen erst
nach und nach in ihrer Bedeutung erkannt. Pianisten wie Thalberg und Moscheles komponierten auch,
Hummel feierte Erfolge, eine Sinfonie Lachners gefiel und fiel sogleich dem Vergessen anheim. In der
Oper dominierten Italiener und der deutsche Weber, sie alle kamen gerne fĂĽr eine Einstudierung vorbei,
keiner blieb. Namen wie Ries und Czerny, damals führend, sind heute Spezialisten nur mehr geläufig.
So bleibt das Paradox, dass ausgerechnet die Komponisten der Gelegenheitswerke, der Gebrauchsmusik
bis heute gespielt werden. Seit Lanner und StrauĂź gibt es eine durchgehende Musikziertradition, ihre
Werke sind zeitlos, auch wenn sie zeitweise durch die Kompositionen der nächstfolgenden Generation
ĂĽberschattet wurden.
Dass StrauĂź und Lanner das Musikgeschehen ihrer Zeit dominierten, war den Zeitgenossen bewusst, gab
aber auch Anlass zu kritischer Betrachtung: „ … da die zwei echt genialischen Koryphäen der Tanzmu-
sik, Strauß und Lanner, das Publikum Wiens seit längerer Zeit gleichsam an sich fesseln … entstand in
manchen Freunden der Musik das Besorgnis, der Geschmack der Bewohner Wiens … dürfte sich nun
ausschließlich diesem Zweige der Musik widmen.“299 Gänzlich unrecht hatten sie nicht: im sinfonischen
Repertoire konnte Brahms erst wieder an Beethoven anschlieĂźen, gewichtige OpernurauffĂĽhrungen fan-
den in Deutschland, in Italien und an der Pariser Oper statt. Wien profitierte, war aber nie Vorreiter,
weder bei allgemeinen noch bei spezifischen Entwicklungen. Schönberg und Mahler hatten Wien viel zu
verdanken, waren aber Kosmopoliten, groĂźteils unfreiwillig.
Der politischen Restauration im 19. Jahrhundert entsprach eine merkwĂĽrdige Parallelhaltung in der
Kunst: nicht nur beschäftigte man sich mit früheren Komponisten und ihren Werken, man setzte ihnen
Denkmäler, feierte Feste anlässlich der Wiederkehr von Geburts- und Todestagen, gründete Gesell-
schaften und Stiftungen. Fruchtbringender waren die zaghaften Versuche, Editionen und Gesamtaus-
gaben der bedeutendsten Tonschöpfer zu redigieren und zu drucken. Autographe wurden gesammelt,
Abschriften zirkulierten und verbreiteten Geschichtsbewusstsein und Ahnung von Ruhm ĂĽber den Tod
hinaus.
Die noble Redoute, der kleine Hausball ĂĽberdauerten die Wandlungen der Zeit, der Gesellschaft, trotzten
Kriegen und Krisen. Gehobene Tanzmusik wird bis heute durch Strauß verkörpert, von dessen Glanz
ein kleiner Schimmer auf Lanner fällt. Flüchtig wie das Vergnügen der durchtanzten Ballnacht ist der
Geschmack des Publikums, ein heute berühmter Walzer hält einige Zeit sich im Repertoire der Tanzka-
pellen, dann wird er unmodern und landet in den Archiven. Instinktiv erkannt hatte dies der Journalist
der Theaterzeitung, der sich über die Wahl von „Monument-Walzer“ als Untertitel für den Walzer „Ab-
schied von Pesth“ mokierte: „Das Leben ist nur ein Moment. Der Walzer ist auch nur einer!“300, gab er
zu bedenken, „Monument als Leichenstein für die zukünftigen Bälle, denn nichts ist leichter verwöhnt,
als ein Publikum!“
Dass Lanner heute kaum mehr gespielt und rezipiert wird, ist ihm am wenigsten anzulasten. Gerade noch
„Die Schönbrunner“ konnten sich neben „Donauwalzer“ (beider Komponisten populärstes, nicht bes-
tes Werk) und „Fledermaus“ behaupten, Aufnahmen von Lannertänzen sind Raria, Rundfunkanstalten
fĂĽhlen der Quote und nicht dem Kulturauftrag, aus dem sie ihre Finanzierung legitimieren, verpflichtet.
Vielleicht hätte Lanner sogar Verständnis gezeigt für die Kommerzialisierung der Musik: mitleidlos hatte
299 Theaterzeitung 21. 10. 1834.
300 Theaterzeitung 12. 2. 1835.
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Title
- Joseph Lanner
- Subtitle
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Author
- Wolfgang Dörner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Size
- 21.0 x 29.5 cm
- Pages
- 752
- Keywords
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, Tänze
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der AbkĂĽrzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn – Werden – Sein 21
- Vorläufer – Mitläufer – Nachfolger 23
- Tanz 28
- Bälle – Tanzstätten – Aufführungsorte 32
- Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester 39
- Akademie – Assemblée – Conversation – Piquenique – Réunion 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- Widmungsträger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen – Bibliotheken – Sammlungen 101
- Funktionalität – Autonomie – Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik – Biedermeier 108
- Strahlender Stern – leuchtender Stern 112
- Rezension – Rezeption 113
- FlĂĽchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang