Page - 69 - in Joseph Lanner - Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
Image of the Page - 69 -
Text of the Page - 69 -
69
Instrumentation
ein eigenes Arrangement fĂĽr mehrere Kapellen im Volksgarten auf, bei dem die Schlacht realistisch mit
Kanonenschüssen und Kampfeslärm dargestellt wurde208. Lanners nächtliche Carnevals-Tour in „Der
Schwärmer“ lässt an Mahlers „Nachtmusiken“ in seiner siebenten Sinfonie denken, Rückgriffe auf frühere
Werke gehören zum integralen Bestandteil Strausscher Tondichtungen, etwa in „Ein Heldenleben“. Das
unvermittelte Nebeneinander von Naturseligkeit und Militärmarsch, von graziösem Menuett und rohem
Tanzboden sollte in der Collagetechnik Mahlers noch eine groĂźe Rolle spielen.
Dass Lanner (ebenso wie StrauĂź) in seinen Potpourris auf grĂĽndlichere Arbeit in den verbindenden Tei-
len verzichtete, mag einerseits an Zeitmangel, andererseits an der geringen kĂĽnstlerischen Bedeutung des
Potpourris liegen. Er beschränkt sich auf einfachste Kadenzen, um die erforderlichen Tonartwechsel zu
bewältigen, ist andererseits in der Instrumentierung der Fremdwerke geschmackssicher und auf der Höhe
seiner Zeit, wobei ihm die Erfahrung als langjähriger Orchesterleiter zugute kommt.
Verwiesen sei an dieser Stelle auf das Kapitel ĂĽber Lanners Orchester, in welchem auf die Bedeutung Lan-
ners als Dirigent nicht nur eigener Werke, sondern als Interpret und Arrangeur zeitgenössischer Orche-
sterliteratur näher eingegangen wird. Die Potpourris sind schlagender Beweis für die Wichtigkeit Lanners
in der damaligen (noch sehr dĂĽrftigen) Orchesterlandschaft.
Bedauert muss werden, dass ein GroĂźteil der Potpourris nur in den Klavierfassungen erhalten geblieben
ist. Die Potpourris leben von den mitunter bizarren Orchestereffekten (nicht umsonst wurden in den
Klavierausgaben Instrumentationshinweise gedruckt), welche auf einem Klavier nur ansatzweise wieder-
gegeben werden können (selbst der beste Pianist würde an Kanonenschüssen und Hundegebell scheitern).
Doch wären diese Werke nicht arrangiert und gedruckt worden, hätte es keinen Absatzmarkt für sie gege-
ben. Sie sind fixer Bestandteil der Salonmusik, die nicht immer auf höheren künstlerischen Wert abstellte,
einfache Erbauung galt nicht als verwerflich.
In der gegenwärtigen Musizierpraxis sind die Lannerschen Potpourris praktisch inexistent. Ihre ursprüng-
liche Funktion – die unmittelbare Reaktion auf neue Werke sowie das Erinnern an tradiertes Melodien-
gut – ist aus heutiger Sicht eine rein historische. Viele der damals brandaktuellen Opern von Donizetti
oder Bellini sind längst vergessen, ein Gutteil der Melodien selbst Spezialisten nicht mehr geläufig. Das
Zitieren von eigenen wie fremden Melodien, ohne dass das Werk selbst darauf reflektierend das Material
verarbeitet, erscheint uns als Kuriosum, zu dem wir keine Beziehung mehr aufbauen können. Während
Tanzmusik bis in die Gegenwart zumindest in ihrer Funktion weiterlebt (unabhängig von ihrer Qualität),
ist uns die Funktion des Quodlibets fremd geworden. StĂĽnde auf dem AnkĂĽndigungszettel des Kurkon-
zertes nicht der Titel des Opernwerkes, welches in Potpourriform dargeboten wird, wer weiĂź, ob wir
Wagners „Rienzi“ oder Verdis „Ernani“ erkennen würden?
Instrumentation
Tanzmusik kann von unterschiedlichsten Musikergruppen dargeboten werden, vom einzelnen Violinspie-
ler ebenso wie von einem sinfonischen Orchester. Ad hoc zusammengestellte Ensembles, gut einstudierte
Salonorchester, ein Klavierspieler, der sich bei einer Abendunterhaltung spontan an den FlĂĽgel setzt, drei
Bläser, die sich ein klappriges Notenpult und ein zerschlissenes Notenblatt teilen – es gibt keine Forma-
tion, die nicht Tanzmusik in irgend einer Weise darbieten könnte. Und wenn es Singen, rhythmisches
Klatschen oder Stampfen wäre, wenn der menschliche Körper in Ermangelung anderer Instrumente sel-
ber zum Musikinstrument würde – die Voraussetzungen für Tanzmusik, nämlich die Angabe eines für
einen oder mehrere Tänzer verbindlichen Tempos und Rhythmus, wären gegeben.
208 Allgemeine Theaterzeitung, AnkĂĽndigung vom 11. 8. und Bericht vom 27. 8. 1836.
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Title
- Joseph Lanner
- Subtitle
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Author
- Wolfgang Dörner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Size
- 21.0 x 29.5 cm
- Pages
- 752
- Keywords
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, Tänze
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der AbkĂĽrzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn – Werden – Sein 21
- Vorläufer – Mitläufer – Nachfolger 23
- Tanz 28
- Bälle – Tanzstätten – Aufführungsorte 32
- Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester 39
- Akademie – Assemblée – Conversation – Piquenique – Réunion 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- Widmungsträger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen – Bibliotheken – Sammlungen 101
- Funktionalität – Autonomie – Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik – Biedermeier 108
- Strahlender Stern – leuchtender Stern 112
- Rezension – Rezeption 113
- FlĂĽchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang