Page - 113 - in Joseph Lanner - Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
Image of the Page - 113 -
Text of the Page - 113 -
113
Rezension – Rezeption
Lanner’schen Compositionen geht neben der handelnden Tanzmusik noch ein sinniger griechischer Chor
von Melodien einher; ja, er schwebt, wie der echte griechische Chor, über den Tanzenden und Spielenden.“294
Lanners Kompositionen eignen etwas Metaphysisches, das scheinbar einfachen Tanzkompositionen eine zu-
sätzliche Dimension verleiht. Apollinisch eher als dionysisch treten Lanners Walzergötter hervor, medita-
tiv eher als bacchantisch der Lust frönend. „Hatte Strauß den höchsten Sinnenreiz aufgeregt, und gleich
einem reiĂźenden Waldstrom Jung und Alt mit seinen Tonwellen mitgefĂĽhrt, so hatte Lanner durch sein
Schmeicheln und Tändeln alle Herzen unwiderstehlich für seine zauberischen Klänge gefesselt.“295 Direkt
zupackend waren nicht nur Strauß’ Kompositionen, sondern auch sein Zugehen auf sein Publikum. Lanner
ließ sich, aber auch seinen Zuhörern, Zeit, umwarb sie, verzichtete auf vordergründige Effekte auch als Inter-
pret. Offensichtlich verströmte Lanner eine Aura, die ihm beständige Zuneigung seiner Adoranten sicherte.
„Strauß und Lanner glänzen, zwei Sternen gleich, an einem Himmel, nur ist der Lichtglanz, den ihre wahr-
haft genialen Compositionen von sich strahlen, verschieden. Ersterer blendet, letzterer leuchtet.“296 Lanners
Leuchtkraft wirkte nur vordergründig schwächer, dafür drang sie tiefer ein. Strauß wurde geachtet, Lanner
hingegen geliebt: „Der Beifallssturm wollte gar nicht enden, als Lanner den Saal verließ; von vielen Anwe-
senden wurde er umarmt, Lebehochs begleiteten den Scheidenden, der ĂĽber diesen biedern, gastfreundlichen
Abschied bis zu Thränen gerührt, das schönste Andenken an dieses herrliche Land mitnimmt.“297
Rezension – Rezeption
Blättert man auch nur flüchtig die Zeitungen und Kunstjournale zur Zeit Lanners durch, so erschrickt
man nahezu vor der FĂĽlle der Annoncen und Artikel, die sich mit Ballveranstaltungen, mit Tanzkom-
ponisten und ihren Novitäten beschäftigten. Seitenweise füllten mehrspaltige Anzeigen vor allem die
Faschingsausgaben, den Besprechungen wurden eigene Rubriken – „Kurier der Theater und Spectakel“,
„Geschwind, was gibt es Neues?“ (Der Wanderer), „Telegraph von Wien“, „Carnevals-Revue“ oder „Car-
nevals-Schau“ (Theaterzeitung) – gewidmet. Besprechungen von Ballorchestern und deren Dirigenten
wären im 21. Jahrhundert undenkbar. Einst stand der Komponist im Mittelpunkt des Geschehens, der
geigenschwingende Lanner, der walzerselige StrauĂź, heute sind Musikbedienstete am Werk, Diener unser
aller und kaum mehr beachtet als Kellner und Garderobier.
Eine Kultur der Rezension gab es am Beginn des 19. Jahrhunderts (noch) nicht. Die UrauffĂĽhrung wurde
hymnisch gefeiert, „Originalität der Gedanken“ und Ähnliches mehr hervorgehoben (bei rund 200 Kompo-
sitionen Lanners eine beachtliche Leistung, auch in der Rezension beständig vorne zu sein). Der Rezensent
gab die enthusiastischen Publikumsreaktionen wieder, fühlt durch sie sich bestätigt und bestärkt in seinem
Vorhaben, Lanner den ihm zuzustehenden Platz zu sichern. In den letzten Jahren, ab etwa 1839/1840 schim-
merte zumindest in der Theaterzeitung so etwas wie Selbstkritik durch, wenn die ausufernde Berichterstat-
tung verteidigt werden musste. Langsam gewann das Konzertwesen an Seriosität, welches auch im Umfang
der Rezension abgesetzt erscheinen wollte gegenĂĽber den als minder empfundenen Gartenkonzerten Lanners.
Ăśber die Werke erfahren wir weniger als ĂĽber deren Aufnahme. Immerhin finden wir einige wenige Artikel,
die sich die MĂĽhe machten, zumindest grob beschreibend Eigenheiten einzelner Kompositionen in Worte
fassen zu wollen. Als Kunstwerke erscheinen sie nicht, aber immerhin wird die poetische Idee, das Mehr
konzediert, das den Walzer, den Galopp heraushebt aus der Massenproduktion einer Karnevalssaison.
Ein Vergleich mit Besprechungen „klassischer“ Konzerte zeigt wenig Unterscheidung im Herangehen an
den Gegenstand. Mit Sängerinnen und Dilettantenorchestern übte man wohlwollende Nachsicht, Diri-
294 Ebd.
295 Theaterzeitung 22. 11. 1834.
296 Ebd.
297 Ebd.
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Title
- Joseph Lanner
- Subtitle
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Author
- Wolfgang Dörner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Size
- 21.0 x 29.5 cm
- Pages
- 752
- Keywords
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, Tänze
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der AbkĂĽrzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn – Werden – Sein 21
- Vorläufer – Mitläufer – Nachfolger 23
- Tanz 28
- Bälle – Tanzstätten – Aufführungsorte 32
- Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester 39
- Akademie – Assemblée – Conversation – Piquenique – Réunion 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- Widmungsträger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen – Bibliotheken – Sammlungen 101
- Funktionalität – Autonomie – Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik – Biedermeier 108
- Strahlender Stern – leuchtender Stern 112
- Rezension – Rezeption 113
- FlĂĽchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang