Page - 9 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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die Poesie im Sinne Goethes »kommandiert« und das »Inkommensurable« in
gestalteten Geist verwandelt. Wenn er Herr des Dämons wird und nicht sein
Knecht.
Goethe: damit ist nun schon der Name für den polaren Typus
ausgesprochen, dessen Gegenwart sinnbildlich dies Buch durchwaltet. Goethe
war nicht nur als Naturforscher, als Geologe »Gegner aller Vulkanität« – auch
in der Kunst hat er das Evolutive über das Eruptive gestellt und alles
Gewaltsam-Krampfhafte, alles Vulkanische, kurz, alles Dämonische mit einer
bei ihm seltenen und geradezu erbitterten Entschiedenheit bekämpft. Und
durch nichts mehr als durch diese Erbitterung der Abwehr verrät er, daß auch
ihm der Kampf mit dem Dämon das entscheidende Existenzproblem seiner
Kunst gewesen ist. Denn nur wer dem Dämon inmitten seines Lebens
begegnet, wer ihm schauernd ins medusische Auge gesehen, wer ihn erfahren
in seiner ganzen Gefahr, nur der kann ihn dermaßen als fürchterlichen Feind
empfinden. Irgendwo im Dickicht seiner Jugend muß Goethe dem
Gefährlichen einmal Stirn an Stirn zu einer Entscheidung über Leben und Tod
gegenübergestanden haben – Werther bezeugt es, in dem er Kleistens und
Tassos, in dem er Hölderlins und Nietzsches Schicksal prophetisch von sich
fortgestaltet hat! Und von dieser schreckhaften Begegnung her ist Goethe ein
ganzes Leben lang eine erbitterte Ehrfurcht, eine unverhohlene Furcht vor der
tödlichen Kraft seines großen Gegners geblieben. Mit magischem Blick
erkennt er den Blutfeind in jeder Gestalt und Verwandlung: in Beethovens
Musik, in Kleistens Penthesilea, in Shakespeares Tragödien (die er schließlich
nicht mehr aufzuschlagen vermag: »es würde mich zerstören«), und je mehr
sein Sinn auf Gestaltung und Selbsterhaltung gerichtet ist, um so sorglicher,
um so ängstlicher weicht er ihm aus. Er weiß, wie es endet, wenn man sich
dem Dämon hingibt, darum wehrt er sich, darum warnt er vergeblich die
andern: Goethe verbraucht ebensoviel heroische Kraft, um sich zu erhalten,
wie die Dämonischen, um sich zu verschwenden. Auch ihm geht es in diesem
Ringen um eine höchste Freiheit: er kämpft um sein Maß wider das Maßlose,
um seine Vollendung, indes jene einzig um die Unendlichkeit.
Nur in diesem Sinne habe ich, nicht in dem einer (im Leben zwar
vorhandenen) Rivalität, Goethes Gestalt gegen die drei Dichter und Diener
des Dämons gestellt: ich glaubte einer großen Gegenstimme zu bedürfen,
damit nicht das Exaltative, das Hymnische, das Titanische, das ich in Kleist,
Hölderlin und Nietzsche darstellend verehre, als die einzige oder als die
sublimste Kunst im Sinne eines Werts erscheine. Gerade ihr Widerspiel will
mir als geistiges Polaritätsproblem höchsten Ranges erscheinen: so mag es
nicht überflüssig sein, wenn ich diese immanente Antithese in einigen ihrer
Beziehungen übersichtlich abwandle. Denn beinahe mathematisch formelhaft
setzt sich diese Kontrastierung aus der umfassenden Form bis in die kleinsten
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Title
- Der Kampf mit dem Dämon
- Subtitle
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1925
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199