Page - 10 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Episoden ihres sinnlichen Lebens fort: nur der Vergleich zwischen Goethe
und den dämonischen Widerpartnern gibt, als ein Vergleich der höchsten
Wertformen des Geistes, Licht bis in die Tiefe des Problems.
Was zunächst an Hölderlin, Kleist und Nietzsche sinnfällig wird, ist ihre
Unverbundenheit mit der Welt. Wen der Dämon in der Faust hat, den reißt er
vom Wirklichen los. Keiner der drei hat Weib und Kind (ebensowenig wie
ihre Blutsbrüder Beethoven und Michelangelo), keiner Haus und Habe, keiner
dauernden Beruf, gesichertes Amt. Sie sind nomadische Naturen, Vaganten in
der Welt, Außenseiter, Sonderbare, Mißachtete, und leben eine vollkommen
anonyme Existenz. Sie besitzen nichts im Irdischen: weder Kleist, noch
Hölderlin, noch Nietzsche haben jemals ein eigenes Bett gehabt, nichts ist
ihnen zu eigen, sie sitzen auf gemietetem Sessel und schreiben an gemietetem
Tisch und wandern von einem fremden Zimmer in ein anderes. Nirgends sind
sie verwurzelt, selbst Eros vermag nicht dauernd zu binden, die sich dem
eifersüchtigen Dämon vergattet haben. Ihre Freundschaften werden brüchig,
ihre Stellungen zerstieben, ihr Werk bleibt ohne Ertrag: immer stehen sie im
Leeren und schaffen ins Leere. So hat ihre Existenz etwas Meteorisches,
etwas von unruhig kreisenden, stürzenden Sternen, indes jener Goethes eine
klare, geschlossene Bahn zieht. Goethe wurzelt fest und immer tiefer, immer
breiter greifen seine Wurzeln aus. Er hat Weib und Kind und Enkel, Frauen
umblühen sein Leben, eine kleine, aber sichere Zahl von Freunden umsteht
jede seiner Stunden. Er wohnt im weiten, wohlhabenden Haus, das sich mit
Sammlungen und Seltenheiten füllt, er wohnt im warmen, schützenden Ruhm,
der mehr als ein halbes Jahrhundert seinen Namen umfängt. Er hat Amt und
Würde, ist Geheimrat und Exzellenz, alle Orden der Erde blitzen von seiner
breiten Brust. Bei ihm wächst die irdische Schwerkraft im Maße wie bei jenen
die geistige Flugkraft, und so wird sein Wesen immer seßhafter, sicherer mit
den Jahren (indes jene immer flüchtiger, immer unsteter werden und wie
gejagte Tiere über die Erde rennen). Wo er steht, ist das Zentrum seines Ich
und zugleich der geistige Mittelpunkt der Nation: von festem Punkte, ruhend-
tätig umfaßt er die Welt, und seine Verbundenheit reicht weit hinweg über die
Menschen, sie greift hinab zu Pflanze, Tier und Stein und vermählt sich
schöpferisch dem Element.
So steht der Herr des Dämons am Ende seines Lebens mächtig im Sein
(indes jene zerrissen werden wie Dionysos von der eigenen Meute). Goethes
Existenz ist eine einzige strategische Weltgewinnung, während jene in
heldischen, aber niemals planhaften Kämpfen abgedrängt werden von der
Erde und ins Unendliche flüchten. Sie müssen sich gewaltsam über das
Irdische hinausreißen, um dem Überweltlichen vereint zu sein – Goethe
braucht nicht mit einem Schritt die Erde zu verlassen, um die Unendlichkeit
zu erreichen: langsam, geduldig zieht er sie an sich. Seine Methode ist derart
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Title
- Der Kampf mit dem Dämon
- Subtitle
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1925
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199