Page - 27 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Hölderlin nur in seiner Blüte zeigen, einzig das strahlende Antlitz des ewigen
Jünglings uns kennen lassen, niemals den Mann (der er niemals wahrhaftig
geworden), und schließlich wieder – ein halbes Jahrhundert später – die
ausgehöhlte, vertrocknete Larve des kindgewordenen Greises. Jene
»Artigkeit«, die Schiller an ihm als auffällig rühmt, erstarrt bald zu
krampfigem Zwang, die Schüchternheit zu misanthropischer
Menschenängstlichkeit: im abgeschabten Hauslehrerrock, der letzte bei Tisch
und nahe schon der bezahlten Livree der Diener, muß er die servile Geste des
Niedergedrückten erlernen: scheu, verängstigt, gequält und der Macht seines
Geistes nur ohnmächtig leidend bewußt, verliert er bald den freien klingenden
Gang, in dem sein Rhythmus wie über Wolken hinschreitet, und auch innen
bricht die Schwebe, das seelische Gleichgewicht. Hölderlin wird früh
mißtrauisch und verwundbar, »ein Wort, ein flüchtiges, konnte ihn
beleidigen«, das Mißliche seiner Stellung macht ihn unsicher und treibt seinen
verwundeten, ohnmächtigen Ehrgeiz in die verschlossene Brust zurück.
Immer mehr lernt er sein inneres Antlitz vor der Brutalität des geistigen
Pöbels zu verbergen, dem er zu dienen genötigt ist, und allmählich wächst
ihm diese dienernde Maske hinein in Fleisch und Blut. Erst der Wahnsinn, der
wie jede Leidenschaft alles Verschwiegene heraustreibt, macht die innere
Verzerrung gräßlich offenbar: jene Servilität, hinter der er als Hauslehrer
seine eigene Welt verbarg, ist krankhafte Manie der Selbstentwürdigung
geworden, jene grauenvolle Geste, die jeden Fremden mit knicksenden,
übertreibenden Verbeugungen unzählige Male begrüßt und ihn (immer voll
Angst eines Erkanntseins) mit Titeln »Eure Heiligkeit! Eure Exzellenz! Eure
Gnaden!« sprudelnd überhäuft. Auch das Antlitz sinkt müde und ohne
Spannung in sich selbst zurück, allmählich verdüstert sich das Auge, das einst
so schwärmerisch nach oben gebückt: manchmal zuckt schon grell und
gefährlich über den Lidern der Blitz des Dämons, dem seine Seele verfallen
ist. Schließlich ermüdet auch in den Jahren der Vergessenheit die hohe
Gestalt, sie beugt sich – furchtbares Symbol! – dem drückenden Haupte
nachsinkend vornüber, und wie dann fünfzig Jahre später, ein halbes
Jahrhundert nach dem Jünglingsbilde, eine Bleistiftzeichnung den »in
himmlische Gefangenschaft Verkauften« zum erstenmal wieder sinnlich zeigt,
sehen wir erschüttert jenen Hölderlin von einst als hageren zahnlosen Greis,
der am Stocke vorwärts tappt und mit feierlich erhobener Hand Verse ins
Leere, in eine fühllose Welt spricht. Nur das natürliche Ebenmaß der Züge
spottet der inneren Zerstörung, und die Stirne bleibt noch im Sturze des
Geistes gewölbt: wie eine Statue blank unter dem Dickicht des grauverwirrten
Haares hält sie eine ewige Reinheit unverstellt dem erschütterten Blicke
entgegen. Schaudernd schauen die seltenen Besucher auf die gespenstische
Larve Scardanellis und suchen vergebens in ihr den Künder des Schicksals zu
erkennen, der die Schönheit und gefährlichen Schauer der Mächte ehrfürchtig
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Title
- Der Kampf mit dem Dämon
- Subtitle
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1925
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199