Page - 30 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Image of the Page - 30 -
Text of the Page - 30 -
die reine Welt, sucht mit Shelley
some world
Where music and moonlight and feeling
Are one
wo nicht Kompromisse nötig sind und Vermengungen mit dem Niedrigen,
wo der Geist rein im reinen, ungemischten Element sich behaupten darf. In
dieser fanatischen Unerschütterlichkeit, in dieser großartigen Inkonzilianz
gegenüber der realen Existenz offenbart sich, stärker als in jedem einzelnen
Gedicht, Hölderlins herrlicher Heroismus: er weiß von allem Anbeginn, daß
er mit solchem Anspruch auf jede Sicherung, auf Haus und Heim, auf alle
Bürgerlichkeit verzichtet, er weiß, daß es leicht wäre, »glücklich zu sein mit
seichtem Herzen«, er weiß, daß er ewig »ein Laie in der Freude bleiben
muß«. Aber er will sein Leben nicht als ein braves Geborgensein, sondern als
ein dichterisches Schicksal: starr den Blick nach oben gerichtet, unbeugsam
die Seele im dürftigen Leibe, entbehrungsvoll den Leib im ärmlichen Gewand
tritt er vor den unsichtbaren Altar, dem er Priester wird und Opfer zugleich.
Dieser Wille, nur an das Ganze des Lebens mit ganzer Seele sich
hinzugeben, ist Hölderlins, ist dieses zarten, demütigen Jünglings wahrste und
wirksamste Kraft. Er weiß, daß Dichtung nicht mit einem Teil, einem
abgelösten und flüchtigen des Herzens und des Geistes, das Unendliche
erreicht werden kann: wer das Göttliche verkünden will, muß sich ihm
weihen, muß sich ihm opfern. Hölderlins Auffassung von der Poesie ist eine
sakrale: der Wahre, der Berufene muß alles darbringen, was die Erde den
andern zuteilt, für die Gnade, dem Göttlichen nahe sein zu dürfen, er muß, der
Diener der Elemente, selbst unter ihnen wohnen in der heiligen Ungewißheit
und der läuternden Gefahr. Von erster Stunde erfaßt Hölderlins Sinn die
Notwendigkeit des Unbedingten: noch ehe er das Stift verläßt, ist er
entschlossen, nicht Pfarrer zu werden, niemals dauernd an irdische Existenz
sich zu binden, sondern einzig »Hüter der heiligen Flamme« zu sein. Er weiß
nicht den Weg, aber er kennt sein Ziel. Und aller Fährlichkeiten seiner
Lebensschwäche mit wunderbarer Stärke des Geistes bewußt, ruft er sich
selbst seligsten Trost zu:
Sind denn dir nicht verwandt alle Lebendigen,
Nährt die Parze denn nicht selber im Dienste dich?
Drum, so wandle nur wehrlos
Fort durchs Leben, und fürchte nichts!
Was geschiehet, es sei alles gesegnet dir.
Und so tritt er entschlossen unter den Himmel seines Schicksals.
30
Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Title
- Der Kampf mit dem Dämon
- Subtitle
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1925
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199