Page - 31 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Aus dieser Entschlossenheit zur reinen Selbstbewahrung wächst Hölderlins
selbstgewolltes Schicksal und Verhängnis. Tragik und innere Lebensnot wird
ihm aber dadurch frühzeitig zugeteilt, daß er diesen heroischen Kampf
zunächst nicht gegen die Gegenwelt seines Hasses, gegen die brutale Welt
also, durchkämpfen muß, sondern – dem Fühlenden furchtbarste Herzensnot –
gerade gegen seine liebsten und die ihn am meisten liebenden Menschen. Die
wahren Widerparte seines heroischen Willens im Kampf um das Leben als
Dichtung sind die zärtlich ihn liebende, die zärtlich geliebte Familie, Mutter
und Großmutter, seine nächsten Menschen, die er in ihren Gefühlen nicht
verwunden mag und doch früher oder später schmerzhaft zu enttäuschen
genötigt ist: wie immer hat das Heldenhafte eines Menschen keinen
gefährlicheren Widersacher als gerade die zärtlich Wohlmeinenden, die innig
Gutmütigen, die alle Spannung gütlich beschwichtigen wollen und das
»heilige Feuer« mit sorglichem Atem niederdrücken zur häuslichen
Herdflamme. Und dies ist nun herrlich rührend zu sehen, wie – fortiter in re,
suaviter in modo – unerschütterlich im Tiefsten und doch sanft in den
Formen, dieser Demütige seine geliebten Menschen ein ganzes Jahrzehnt lang
mit Ausflüchten hinhält, sie tröstet und sich dankbar entschuldigt, daß er ihren
liebsten Wunsch – Pfarrer zu werden – nicht erfüllt. Ein unbeschreibliches
Heldentum des Schweigens und des Schonens ist in diesem unsichtbaren
Kampf, denn was ihn zutiefst beseelt und stählt, seine dichterische Berufung,
hält Hölderlin keusch, ja schüchtern verborgen. Er spricht von seinen Versen
immer nur als von »poetischen Versuchen«, und das Äußerste, was er der
Mutter an Erfolg verheißt, klingt nicht stolzer, als »er hoffe, doch einmal sich
ihrer Gesinnung würdig zu zeigen«. Niemals pocht er auf seine Versuche,
seine Erfolge, im Gegenteil, immer deutet er an, daß er erst am Anbeginn sei.
»Ich bin mir tief bewußt, daß die Sache, der ich lebe, edel, und daß sie
heilsam für die Menschen ist, sobald sie zu einer rechten Äußerung und
Ausbildung gebracht ist.« Aber die Mutter und Großmutter fühlen von ferne
hinter den demütigen Worten immer nur die Tatsache, daß er ohne Haus und
Stellung leer und fremd in der Welt sinnlosen Phantasmen nachtreibt. Die
beiden Witwen, sie sitzen tagein und tagaus in ihrer kleinen Stube in
Nürtingen, sie haben jahre- und jahrelang die kleinen Silberstücke an Speise
und Kleidung und Kienspan gespart, um den geweckten Knaben studieren
lassen zu können. Beglückt lesen sie seine ehrerbietigen Briefe von der
Schule, freuen sich mit ihm an Fortschritt und Belobung, teilen seinen Stolz
auf die ersten gedruckten Verse. Und sie hoffen, da er sein Studium beendigt,
werde er bald Vikar sein, eine Frau nehmen, ein sanftes blondes Mädchen,
und sie werden kommen und stolz zuhören dürfen, wie er in irgendeinem
schwäbischen Städtchen sonntags das Wort Gottes von der Kanzel spricht.
Aber Hölderlin weiß, daß er diesen Traum zerstören muß, nur schlägt er ihn
nicht hart entzwei in den teuren Händen – sanft, doch eindringlich schiebt er
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Title
- Der Kampf mit dem Dämon
- Subtitle
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1925
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199