Page - 37 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Gelöbnis der Reinheit.
Dieser Mythus des Dichters ist der geistige Mittelpunkt von Hölderlins
Welt: durch sein ganzes Werk hindurch hat er niemals diese
Unerschütterlichkeit des Glaubens an die kultische Mission der Dichtung
verloren, daher auch das absolut Sakrale, das Feierhafte seiner ethischen
Haltung. Wer »Stimme der Götter« ist, »Verkünder des Helden« oder (wie er
ein andermal sagt) »Zunge des Volkes« sein will, braucht die Erhobenheit der
Rede, die Erhöhtheit der Haltung, die Reinheit des Gottverkünders, der
spricht von unsichtbaren Tempelstufen zu einer unsichtbaren Vielzahl, zu
einem Traumvolk, zu einer Traumnation, die erst aus der irdischen entstehen
soll, denn »was bleibt, stiften die Dichter«. Seit die Götter schweigen,
sprechen sie in ihrem Namen und Geist, Bildner des Ewigen im irdischen
Tagwerk. – Darum rauschen auch seine Verse feierlich gehoben wie
priesterliches Kleid und sind schmucklos weißgewandet. Darum spricht er
selbst im Gedicht gleichsam höhere Sprache. Und diese hohe Bewußtheit der
Sendung oder vielmehr des Gesendetseins hat Hölderlin an den Erfahrungen
der Jahre nicht verlernt: nur eins ist in seinem Mythus ihm allmählich
dunkler, verhängter und tragischer bewußt geworden, daß er die Sendung
nicht wie im Frühglanz der Jugend mehr als ein bloß seliges Erwähltsein
empfindet, sondern als heroisches Schicksal. Was dem Jüngling ursprünglich
bloß als sanfte Begnadung erschien, erkennt der Gereifte als das
schaurigschöne Hangen über dem Abgrund –
Denn sie, die uns das himmlische Feuer leihn,
Die Götter, schenken heiliges Leid uns auch.
Er erkennt: Berufensein zum Priesteramt heißt Verstoßensein vom Glück.
Der Erwählte ist gezeichnet wie ein Baum im unendlichen Walde mit dem
roten Zeichen für das Beil: echte Dichtung fordert ein Schicksal heraus. Nur
wer das Tragisch-Heldische, das er verkündet, selbst zu erleben bereit ist, wer
aus dem sichern bürgerlichen Haus hinaustritt unter das Gewitter, in dem die
Götter sprechen, nur der wird zum Helden. Schon Hyperion sagt es: »Huldige
dem Genius einmal, und er reißt dir alle Bande des Lebens entzwei« – aber
Empedokles erst, erst der verdüsterte Hölderlin, wird des ungeheuren Fluches
bewußt, den die Götter über jenen verhängen, der sie »göttlich im Göttlichen
schaut«:
jedoch ihr Gericht
Ist, daß sein eigenes Haus
Zerbreche der und das Liebste
Wie den Feind schellt’ und sich Vater und Kind
Begrabe unter den Trümmern,
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Title
- Der Kampf mit dem Dämon
- Subtitle
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1925
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199