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Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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das Herz aufhoben zum Gotte: er hoffte erhöhte Begeisterung von ihnen, von Goethe und insbesondere von Schiller, den er nächtelang im Tübinger Stift gelesen und dessen »Carlos« die »Zauberwolke seiner Jugend« gewesen. Sie sollen ihm, dem Unsicheren, geben, was einzig das Leben verklärt, Aufschwung ins Unendliche, erhöhte Feurigkeit. Aber hier beginnt der ewige Irrtum des zweiten und dritten Geschlechts zu den Meistern: sie vergessen, daß die Werke ewig jung bleiben, daß am Vollendeten die Zeit vorbeirinnt wie Wasser am Marmor, ohne sich zu trüben, daß aber die Dichtermenschen selbst inzwischen altern. Schiller ist Hofrat geworden, Goethe Geheimrat, Herder Konsistorialrat, Fichte Professor: sie sind alle schon in ihr Werk gebannt, im Leben verankert, und nichts ist dem vergeßlichen Wesen, dem Menschen, vielleicht so fremd wie die eigene Jugend. So wird das Mißverstehen schon durch die Jahre prädestiniert: Hölderlin will von ihnen Begeisterung, und sie lehren ihn Bedächtigkeit, er begehrt an ihrer Nähe stärker zu flammen, und sie dämpfen ihn zu milderem Licht. Er will Freiheit von ihnen gewinnen, die geistige Existenz, und sie mühen sich, ihm eine bürgerliche Stelle zu besorgen. Er will sich ermutigen zu dem ungeheuren Schicksalskampf, und sie bereden ihn (gutmeinendst) zu einem billigen Frieden. Er will sich heiß, und sie wollen ihn kühl: so verkennt sich bei aller geistigen Neigung und privater Sympathie das erhitzte und das erkaltete Blut in ihren Adern. Schon die erste Begegnung mit Goethe ist symbolisch. Hölderlin besucht Schiller, trifft dort einen älteren Herrn, der kühl eine Frage an ihn richtet, die er gleichgültig beantwortet – am Abend erst erschreckend erfahrend, daß er zum erstenmal Goethe gesehen. Er hat Goethe nicht erkannt – damals nicht und im geistigen Sinn niemals – und Goethe niemals ihn: außer im Briefwechsel mit Schiller erwähnt ihn in fast vierzig Jahren Goethe nie mit einer Zeile. Und Hölderlin wiederum war so einseitig zu Schiller hingezogen, wie Kleist zu Goethe: beide zielen sie nur auf den einen der Dioskuren mit ihrer Liebe und mißachten mit der eingeborenen Ungerechtigkeit der Jugend den andern. Nicht minder verkennt Goethe wiederum Hölderlin, wenn er schreibt, es drücke sich in seinen Gedichten »ein sanftes, in Genügsamkeit sich auflösendes Streben aus«, und er mißversteht Hölderlins, des Ungenügsamsten, tiefste Leidenschaft, wenn er an ihm »eine gewisse Lieblichkeit, Innigkeit, Mäßigkeit« rühmt und ihm, dem Schöpfer der deutschen Hymne, nahelegt, »besonders kleine Gedichte zu machen«. Die ungeheure Witterung für das Dämonische versagt hier bei Goethe vollkommen, deshalb entbehrt seine Beziehung zu Hölderlin auch der üblichen Heftigkeit der Abwehr: es bleibt bei einer milden gleichgültigen Bonhomie, ein kühles Vorbeistreifen ohne tieferen Blick, das Hölderlin so tief verletzte, daß noch der längst in Dunkelheit Verfallene (der im Wahnsinn noch dumpf vergangene Neigung und Antipathie unterschied) sich zornig 51
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Der Kampf mit dem Dämon Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Title
Der Kampf mit dem Dämon
Subtitle
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Author
Stefan Zweig
Date
1925
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
202
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Teil 1 - Hölderlin 15
    1. Die heilige Schar 17
    2. Kindheit 21
    3. Bildnis in Tübingen 26
    4. Mission des Dichters 29
    5. Der Mythus der Dichtung 34
    6. Phaeton oder die Begeisterung 40
    7. Ausfahrt in die Welt 46
    8. Gefährliche Begegnung 48
    9. Diotima 56
    10. Nachtigallengesang im Dunkeln 61
    11. Hyperion 63
    12. Der Tod des Empedokles 68
    13. Das Hölderlinsche Gedicht 74
    14. Sturz ins Unendliche 81
    15. Purpurne Finsternis 87
    16. Scardanelli 91
  3. Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
    1. Der Gejagte 97
    2. Bildnis des Bildnislosen 100
    3. Pathologie des Gefühls 103
    4. Lebensplan 111
    5. Ehrgeiz 115
    6. Der Zwang zum Drama 119
    7. Welt und Wesen 125
    8. Der Erzähler 129
    9. Die letzte Bindung 133
    10. Todesleidenschaft 136
    11. Musik des Untergangs 140
  4. Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
    1. Tragödie ohne Gestalten 145
    2. Doppelbildnis 149
    3. Apologie der Krankheit 153
    4. Der Don Juan der Erkenntnis 161
    5. Leidenschaft der Redlichkeit 166
    6. Wandlungen zu sich selbst 172
    7. Entdeckung des Südens 178
    8. Flucht zur Musik 185
    9. Die siebente Einsamkeit 189
    10. Der Tanz über dem Abgrund 193
    11. Der Erzieher zur Freiheit 199
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