Page - 51 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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das Herz aufhoben zum Gotte: er hoffte erhöhte Begeisterung von ihnen, von
Goethe und insbesondere von Schiller, den er nächtelang im Tübinger Stift
gelesen und dessen »Carlos« die »Zauberwolke seiner Jugend« gewesen. Sie
sollen ihm, dem Unsicheren, geben, was einzig das Leben verklärt,
Aufschwung ins Unendliche, erhöhte Feurigkeit. Aber hier beginnt der ewige
Irrtum des zweiten und dritten Geschlechts zu den Meistern: sie vergessen,
daß die Werke ewig jung bleiben, daß am Vollendeten die Zeit vorbeirinnt wie
Wasser am Marmor, ohne sich zu trüben, daß aber die Dichtermenschen selbst
inzwischen altern. Schiller ist Hofrat geworden, Goethe Geheimrat, Herder
Konsistorialrat, Fichte Professor: sie sind alle schon in ihr Werk gebannt, im
Leben verankert, und nichts ist dem vergeßlichen Wesen, dem Menschen,
vielleicht so fremd wie die eigene Jugend. So wird das Mißverstehen schon
durch die Jahre prädestiniert: Hölderlin will von ihnen Begeisterung, und sie
lehren ihn Bedächtigkeit, er begehrt an ihrer Nähe stärker zu flammen, und
sie dämpfen ihn zu milderem Licht. Er will Freiheit von ihnen gewinnen, die
geistige Existenz, und sie mühen sich, ihm eine bürgerliche Stelle zu
besorgen. Er will sich ermutigen zu dem ungeheuren Schicksalskampf, und
sie bereden ihn (gutmeinendst) zu einem billigen Frieden. Er will sich heiß,
und sie wollen ihn kühl: so verkennt sich bei aller geistigen Neigung und
privater Sympathie das erhitzte und das erkaltete Blut in ihren Adern.
Schon die erste Begegnung mit Goethe ist symbolisch. Hölderlin besucht
Schiller, trifft dort einen älteren Herrn, der kühl eine Frage an ihn richtet, die
er gleichgültig beantwortet – am Abend erst erschreckend erfahrend, daß er
zum erstenmal Goethe gesehen. Er hat Goethe nicht erkannt – damals nicht
und im geistigen Sinn niemals – und Goethe niemals ihn: außer im
Briefwechsel mit Schiller erwähnt ihn in fast vierzig Jahren Goethe nie mit
einer Zeile. Und Hölderlin wiederum war so einseitig zu Schiller hingezogen,
wie Kleist zu Goethe: beide zielen sie nur auf den einen der Dioskuren mit
ihrer Liebe und mißachten mit der eingeborenen Ungerechtigkeit der Jugend
den andern. Nicht minder verkennt Goethe wiederum Hölderlin, wenn er
schreibt, es drücke sich in seinen Gedichten »ein sanftes, in Genügsamkeit
sich auflösendes Streben aus«, und er mißversteht Hölderlins, des
Ungenügsamsten, tiefste Leidenschaft, wenn er an ihm »eine gewisse
Lieblichkeit, Innigkeit, Mäßigkeit« rühmt und ihm, dem Schöpfer der
deutschen Hymne, nahelegt, »besonders kleine Gedichte zu machen«. Die
ungeheure Witterung für das Dämonische versagt hier bei Goethe
vollkommen, deshalb entbehrt seine Beziehung zu Hölderlin auch der
üblichen Heftigkeit der Abwehr: es bleibt bei einer milden gleichgültigen
Bonhomie, ein kühles Vorbeistreifen ohne tieferen Blick, das Hölderlin so tief
verletzte, daß noch der längst in Dunkelheit Verfallene (der im Wahnsinn
noch dumpf vergangene Neigung und Antipathie unterschied) sich zornig
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Title
- Der Kampf mit dem Dämon
- Subtitle
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1925
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199