Page - 52 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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abwandte, wenn ein Besucher Goethes Namen aussprach. Er hatte die gleiche
Enttäuschung erlebt wie alle deutschen Dichter der Zeit, jene Enttäuschung,
die Grillparzer, gekühlter im Empfinden und gewohnter, sich zu verbergen,
endlich klar formulierte: »Goethe hat sich der Wissenschaft zugewandt und
forderte in einem großartigen Quietismus nur das Gemäßigte und
Wirkungslose, indes in mir alle Brandfackeln der Phantasie sprühten.« Selbst
der Weiseste war nicht so weise, um alternd zu verstehen, daß Jugend nur ein
anderes Wort ist für Überschwang.
Hölderlins Verhältnis zu Goethe ist also ein durchaus organisch
unverbundenes: es hätte nur gefährlich werden können, wenn Hölderlin
Goethes Ratschläge befolgt und sich zum Idyllischen, zum Bukolischen
folgsam temperiert hätte: sein Widerstand gegen Goethe ist darum
Selbstrettung im höchsten Sinn. Tragisch dagegen und Sturm bis hinab in die
Wurzeln seines Wesens wird die Beziehung zu Schiller, denn hier muß sich
der Liebende gegen den geliebtesten Menschen, das Gebilde gegen seinen
Bildner, der Schüler wider den Lehrer behaupten. Die Verehrung für Schiller
ist das Fundament seiner Weltbeziehung, darum droht auch seine ganze Welt
mit der tiefen Erschütterung zu stürzen, die Schillers zweifelnde, laue und
ängstliche Haltung in seiner empfindlichen Psyche hervorruft; aber dieses
Mißverstehen Schillers und Hölderlins ist eines höchster ethischer Ordnung,
an liebender Abwehr, an schmerzlichem Losreißen einzig jenem Nietzsches
von Wagner gleich. Auch hier überwindet der Schüler den Meister zugunsten
der Idee und wahrt lieber die höchste Treue, die zum Ideal, als jene der bloßen
Gefolgschaft. In Wahrheit bleibt Hölderlin Schiller treuer als Schiller sich
selbst.
Denn wohl ist Schiller in jenen Jahren noch Herr seines bildenden Sinns,
noch geht rauschend jenes unvergleichliche Pathos der Rede bis in das Herz
der deutschen Nation: aber dennoch hat sich die sinnliche Abkältung ins
Geistige, das Entjugendlichen bei dem bresthaften, an Krankenstuhl und
Stube gebundenen Dichter früher vollzogen als bei dem älteren Goethe. Nicht
daß sich Schillers Enthusiasmus verflüchtigt hätte oder verkleinert – er hat
sich nur theoretisiert, die aufschäumende rebellische Träumerkraft des In-
Tyrannos-Schillers sich gestaltend kristallisiert in eine »Methodik des
Idealismus«; aus einer Feuerseele ward eine Feuersprache, aus Gläubigkeit
ein bewußter Optimismus, der dann nur einen Handgriff braucht, um als der
deutsche Liberalismus bürgerlich handlich zu sein. Schiller erlebt nur noch
mit dem Geiste, nicht mehr mit der »Unteilbarkeit« (die Hölderlin fordert) des
ganzen Seins, der aufgebotenen Existenz. Und es muß eine seltsame Stunde
für den ehrlichen klaren Mann gewesen sein, als Hölderlin zum erstenmal vor
ihn tritt. Denn dieser Hölderlin ist ja sein ureigenstes Geschöpf: nicht daß er
ihm bloß die Form des Verses und die geistige Orientierung dankt, sondern
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Title
- Der Kampf mit dem Dämon
- Subtitle
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1925
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199