Page - 66 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Ans eigene Treiben
Sind sie geschmiedet allein, und sich in der tosenden Werkstatt
Höret jeglicher nur … doch immer und immer
Unfruchtbar wie die Furien bleibt die Mühe der Armen.
Hölderlins Unverbundenheit mit der Gegenwart wird zur Kriegserklärung
an die Zeit, an die Heimat, als er sieht, daß in Deutschland noch nicht sein
Neugriechenland, sein »Germanien« erscheint, und so erhebt er, der
Gläubigste seines Volkes, die Stimme zu fürchterlicher Verfluchung, die
härter ist als alle Worte, die je ein Deutscher in verstümmelter, zerstückelter
Liebe über sein Volk gesagt. Der als Suchender in die Welt ausgezogen,
flüchtet als Enttäuschter in sein Jenseits, in die Ideologie zurück. »Ich habe
ihn ausgeträumt, von Menschendingen den Traum.« Aber wohin flüchtet
Hyperion? Der Roman hat keine Antwort. Goethe im Wilhelm Meister, im
Faust hatte geantwortet: in die Tätigkeit; Novalis: ins Märchen, in den Traum,
in die gläubige Magie. Hyperion, der bloß Fragende, nie Schaffende, bleibt
ohne Antwort: er »ahnt nur, ohne zu finden«.
Musik einer Ahnung – das ist Hyperion, nicht mehr, kein wahres Gesicht,
kein vollkommenes Werk. Auch ohne philologische Perkussion fühlt man
deutlich, daß hier verschiedene Schichtungen der Jahre und des Empfindens
chaotisch durcheinandergehen, daß die Schwermut eines Enttäuschten im
Zustand tiefster Depression mißmutig vollendet, was der Jüngling im Rausch
begeisterten Planens freudig begonnen. Herbstmüdigkeit liegt über dem
zweiten Teil des Romanes: das klingende Licht der Hölderlinschen Ekstase
dämmert nur dunkel hin, und mühsam erkennt man »die Trümmer einst
gedachter Gedanken« in der vorbrechenden Düsternis. Ein Torso seiner
Jugend ist Hyperion, ein nicht zu Ende geträumter Traum – aber alles
Ungetane und Vertane schwindet unmerklich hin in dem herrlichen Rhythmus
der Sprache, die in Düsternis wie in Begeisterung gleich rein und selig die
Sinne bemeistert. Nichts Reineres hat die deutsche Prosa, nichts
Beschwingteres als diese tönende Welle, die nicht einen einzigen Atemzug
lang aussetzt: kein deutsches dichterisches Werk hat eine solche
Durchgängigkeit des Rhythmus, eine solche Statik der aufgeschwungenen
Melodie. Alles erfüllt, durchdringt und hebt diese aufrauschende, auftragende
Prosa, sie bauscht die Gewänder der unwahrhaftigen Gestalten, daß sie zu
schweben und wahrhaft zu leben scheinen, sie füllt die armen Ideen mit so
starkem sprachlichem Schwung, daß sie wie Erkenntnis des Himmels
dröhnen, die Landschaften, die ungesehenen, blühen, umschwungen von
dieser Musik, wie farbiger Traum. Hölderlins Genius kommt immer vom
Unfaßbaren, vom Inkommensurablen: immer hat er eine Schwinge, immer
stürzt er von einer obern Welt in das staunend bewältigte Herz. Immer siegt
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Title
- Der Kampf mit dem Dämon
- Subtitle
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1925
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199