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Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Formen entkörpert aber nicht nur das Objektive, das Gegenständliche des Hölderlinschen Gedichts: auch das Medium, auch die Sprache selbst ist nicht mehr erdhafte, fruchthafte, schmackhafte, mit Farbe und Gewicht durchsättigte Substanz, sondern eine bloß durchscheinende wolkige weiche Materie. »Die Sprache ist ein großer Überfluß«, läßt er einmal seinen Hyperion sagen, aber sehnsüchtigen Erkennens nur; denn Hölderlins Vokabular ist durchaus nicht reich, weil er sich weigert, aus dem vollen Strom zu schöpfen: nur aus den reinen Quellen, sparsam und nüchtern hebt er die erlesenen Worte. Sein lyrisches Sprachgut stellt vielleicht kaum ein Zehntel von Schillers, kaum ein Hundertstel von Goethes etymologischem Wortschatz dar, der mit fester und niemals prüder Hand in den Mund des Volkes und des Marktes griff, ihm seine Formung wegzufassen und bildnerisch sich zu erneuern. Hölderlins Wortquell, so unsagbar rein und gesiebt er ist, hat durchaus nichts Strömendes und vor allem keine Vielfalt, keine Nuancen. Er selbst ist sich dieser eigenwilligen Einschränkung und der Gefahr dieses Verzichts auf das Sinnliche vollkommen klar bewußt. »Es fehlt mir weniger an Kraft wie an der Leichtigkeit, weniger an Ideen wie an Nuancen, weniger an einem Hauptton als an mannigfach geordneten Tönen, weniger an Licht wie an Schatten, und das alles aus einem Grunde: ich scheue das Gemeine und Gewöhnliche im wirklichen Leben zu sehr.« Eher bleibt er arm, eher läßt er die Sprache in gebanntem Kreise, als von der Fülle der gemengten Welt ein Quentchen in seine heilige Sphäre hinüberzunehmen. Ihm ist es wesentlicher, »ohne irgendeinen Schmuck fast in lauter großen Tönen, wo jeder ein eigenes Ganzes ist, harmonisch wechselnd fortzuschreiten«, als die lyrische Sprache zu verweltlichen: man soll ja in seinem Sinne Dichtung nicht wie ein Irdisches schauen, sondern als ein Göttliches ahnen. Lieber nimmt er die Gefahr der Monotonie auf sich als jene der nicht ganz reinen Poesie; Reinheit der Rede ist ihm höher als Reichtum. Unablässig wiederholen sich darum (in meisterlichen Varianten) die Attribute »göttlich«, »himmlisch«, »heilig«, »ewig«, »selig«; gleichsam nur die von der Antike geheiligten, die geistgeadelten Worte nimmt er in seine Dichtung auf und stößt die andern zurück, denen der Atem der Zeit am Kleide anhaftet, die warm sind von der angedrängten Körperwärme des Volkes und dünn von vieler Abnützung und Gebrauch. Er wählt absichtlich die wolkigen Worte, die deutsamen, die wie Weihrauch irgendeinen geistlichen, einen festlichen Duft, etwas Weihehaftes um sich verbreiten. Alles Körnige, Faßliche, Formende, Plastische, Sinnliche fehlt diesen wehenden Wortgebilden vollkommen: Hölderlin wählt eben die Worte nie nach ihrer Schwerkraft, ihrer Farbkraft, also als Medien der Versinnlichung, sondern immer nach ihrer Flugkraft, ihrer Schwungkraft, als Träger der Entsinnlichung, die aus der untern Welt in die obere, in die »göttliche« der Ekstase hineingetragen. Alle diese ephemeren Attribute 76
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Der Kampf mit dem Dämon Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Title
Der Kampf mit dem Dämon
Subtitle
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Author
Stefan Zweig
Date
1925
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
202
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Teil 1 - Hölderlin 15
    1. Die heilige Schar 17
    2. Kindheit 21
    3. Bildnis in Tübingen 26
    4. Mission des Dichters 29
    5. Der Mythus der Dichtung 34
    6. Phaeton oder die Begeisterung 40
    7. Ausfahrt in die Welt 46
    8. Gefährliche Begegnung 48
    9. Diotima 56
    10. Nachtigallengesang im Dunkeln 61
    11. Hyperion 63
    12. Der Tod des Empedokles 68
    13. Das Hölderlinsche Gedicht 74
    14. Sturz ins Unendliche 81
    15. Purpurne Finsternis 87
    16. Scardanelli 91
  3. Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
    1. Der Gejagte 97
    2. Bildnis des Bildnislosen 100
    3. Pathologie des Gefühls 103
    4. Lebensplan 111
    5. Ehrgeiz 115
    6. Der Zwang zum Drama 119
    7. Welt und Wesen 125
    8. Der Erzähler 129
    9. Die letzte Bindung 133
    10. Todesleidenschaft 136
    11. Musik des Untergangs 140
  4. Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
    1. Tragödie ohne Gestalten 145
    2. Doppelbildnis 149
    3. Apologie der Krankheit 153
    4. Der Don Juan der Erkenntnis 161
    5. Leidenschaft der Redlichkeit 166
    6. Wandlungen zu sich selbst 172
    7. Entdeckung des Südens 178
    8. Flucht zur Musik 185
    9. Die siebente Einsamkeit 189
    10. Der Tanz über dem Abgrund 193
    11. Der Erzieher zur Freiheit 199
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