Page - 76 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Formen entkörpert aber nicht nur das Objektive, das Gegenständliche des
Hölderlinschen Gedichts: auch das Medium, auch die Sprache selbst ist nicht
mehr erdhafte, fruchthafte, schmackhafte, mit Farbe und Gewicht
durchsättigte Substanz, sondern eine bloß durchscheinende wolkige weiche
Materie. »Die Sprache ist ein großer Überfluß«, läßt er einmal seinen
Hyperion sagen, aber sehnsüchtigen Erkennens nur; denn Hölderlins
Vokabular ist durchaus nicht reich, weil er sich weigert, aus dem vollen Strom
zu schöpfen: nur aus den reinen Quellen, sparsam und nüchtern hebt er die
erlesenen Worte. Sein lyrisches Sprachgut stellt vielleicht kaum ein Zehntel
von Schillers, kaum ein Hundertstel von Goethes etymologischem Wortschatz
dar, der mit fester und niemals prüder Hand in den Mund des Volkes und des
Marktes griff, ihm seine Formung wegzufassen und bildnerisch sich zu
erneuern. Hölderlins Wortquell, so unsagbar rein und gesiebt er ist, hat
durchaus nichts Strömendes und vor allem keine Vielfalt, keine Nuancen.
Er selbst ist sich dieser eigenwilligen Einschränkung und der Gefahr dieses
Verzichts auf das Sinnliche vollkommen klar bewußt. »Es fehlt mir weniger
an Kraft wie an der Leichtigkeit, weniger an Ideen wie an Nuancen, weniger
an einem Hauptton als an mannigfach geordneten Tönen, weniger an Licht
wie an Schatten, und das alles aus einem Grunde: ich scheue das Gemeine
und Gewöhnliche im wirklichen Leben zu sehr.« Eher bleibt er arm, eher läßt
er die Sprache in gebanntem Kreise, als von der Fülle der gemengten Welt ein
Quentchen in seine heilige Sphäre hinüberzunehmen. Ihm ist es wesentlicher,
»ohne irgendeinen Schmuck fast in lauter großen Tönen, wo jeder ein eigenes
Ganzes ist, harmonisch wechselnd fortzuschreiten«, als die lyrische Sprache
zu verweltlichen: man soll ja in seinem Sinne Dichtung nicht wie ein
Irdisches schauen, sondern als ein Göttliches ahnen. Lieber nimmt er die
Gefahr der Monotonie auf sich als jene der nicht ganz reinen Poesie; Reinheit
der Rede ist ihm höher als Reichtum. Unablässig wiederholen sich darum (in
meisterlichen Varianten) die Attribute »göttlich«, »himmlisch«, »heilig«,
»ewig«, »selig«; gleichsam nur die von der Antike geheiligten, die
geistgeadelten Worte nimmt er in seine Dichtung auf und stößt die andern
zurück, denen der Atem der Zeit am Kleide anhaftet, die warm sind von der
angedrängten Körperwärme des Volkes und dünn von vieler Abnützung und
Gebrauch. Er wählt absichtlich die wolkigen Worte, die deutsamen, die wie
Weihrauch irgendeinen geistlichen, einen festlichen Duft, etwas Weihehaftes
um sich verbreiten. Alles Körnige, Faßliche, Formende, Plastische, Sinnliche
fehlt diesen wehenden Wortgebilden vollkommen: Hölderlin wählt eben die
Worte nie nach ihrer Schwerkraft, ihrer Farbkraft, also als Medien der
Versinnlichung, sondern immer nach ihrer Flugkraft, ihrer Schwungkraft, als
Träger der Entsinnlichung, die aus der untern Welt in die obere, in die
»göttliche« der Ekstase hineingetragen. Alle diese ephemeren Attribute
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Title
- Der Kampf mit dem Dämon
- Subtitle
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1925
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199