Page - 79 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Indes Schillers Gedichte, Zeile für Zeile, und die meisten Goethes im
Wesenhaftesten in fremde Sprachen übertragbar sind, verweigert sich das
Hölderlinsche Gedicht vollkommen jeder Verpflanzung, weil es selbst
innerhalb der deutschen Sprache in einem Jenseits des sinnlichen Ausdrucks
sich entäußert. Sein letztes Geheimnis bleibt Magie, unnachbildbar und heilig
einmaliges Geschehen in der Sprache.
Dieser Hölderlinsche Rhythmus nun ist durchaus kein stabiler wie etwa
jener Walt Whitmans (dem er im Verlangen breithin rollenden fluthaften
Wortes oftmals ähnlich ist). Walt Whitman hatte gleich im Anbeginn seinen
Wesenstakt, seine dichterische Sprachform gefunden: nun spricht er in dieser
einen rhythmischen Atemstärke sein ganzes Werk hindurch, zehn, zwanzig,
dreißig, vierzig Jahre. Bei Hölderlin dagegen verwandelt, verstärkt,
verbreitert sich der Rhythmus der Rede unablässig, er wird immer rollender,
rauschender, ungefüger, stoßhafter, verworrener, elementarer und
gewitterhafter. Er beginnt wie eine Quelle, zart, tönend, als wandernde
Melodie, und endet tosend und herrlich aufschäumend wie ein Sturzbach.
Und dieses Freiwerden, dies Herrisch- und Selbstherrlichwerden des
Rhythmus, sein Überschwang und Ausbruch geht geheimnisvoll (wie bei
Nietzsche) Hand in Hand mit der inneren Selbstzerstörung, mit der
Verwirrung der Vernunft. Der Rhythmus wird genau in dem Maße freier, als
die logische Bindung im Geistigen sich lockert: schließlich kann der Dichter
den mächtig aus sich aufschwellenden Schwall nicht mehr dämmen und wird
von ihm überflutet, als seine eigene Leiche schwimmt er hin auf den rasenden
Wassern des Gesangs. Diese Entwicklung zur Freiheit, dieses Sich-Losreißen,
Sich-Selbstherrlichmachen des Rhythmus (auf Kosten der Bindung und
geistigen Ordnung) geht im Hölderlinschen Gedichte ganz allmählich vor
sich: zuerst hat er den Reim, die klirrende Fußkette von sich gestoßen, dann
das über die breitatmende Brust zu enge Kleid der Strophe gesprengt;
antikisch nackt lebt nun das Gedicht seine körperhafte Schönheit aus und eilt
wie ein griechischer Läufer dem Unendlichen entgegen. Alle gebundenen
Formen werden dem Inspirierten allmählich zu enge, alle Tiefen zu seicht,
alle Worte zu dumpf, alle Rhythmen zu schwertönig – die ursprünglichste
klassische Regelmäßigkeit des lyrischen Baues überwölbt sich und bricht, der
Gedanke schwillt immer dunkler, mächtiger, gewitterhafter aus Bildern
empor, immer tiefer und voller wird gleichzeitig das rhythmische Atemholen,
großartig kühne Inversionen binden oft ganze Strophenreihen in einen Satz
zusammen – aus den Gedichten werden Gesänge, hymnischer Anruf,
prophetische Schau, heroisches Manifest. Die Mythisierung der Welt hat für
Hölderlin begonnen, das Alldichtungwerden des ganzen Seins. Europa, Asien,
Germanien, traumhafte Landschaften des Geistes dämmern wie Wolken heran
aus einer ganz unwahrhaftigen Ferne, magische Zusammenhänge
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Title
- Der Kampf mit dem Dämon
- Subtitle
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1925
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199