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Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Indes Schillers Gedichte, Zeile für Zeile, und die meisten Goethes im Wesenhaftesten in fremde Sprachen übertragbar sind, verweigert sich das Hölderlinsche Gedicht vollkommen jeder Verpflanzung, weil es selbst innerhalb der deutschen Sprache in einem Jenseits des sinnlichen Ausdrucks sich entäußert. Sein letztes Geheimnis bleibt Magie, unnachbildbar und heilig einmaliges Geschehen in der Sprache. Dieser Hölderlinsche Rhythmus nun ist durchaus kein stabiler wie etwa jener Walt Whitmans (dem er im Verlangen breithin rollenden fluthaften Wortes oftmals ähnlich ist). Walt Whitman hatte gleich im Anbeginn seinen Wesenstakt, seine dichterische Sprachform gefunden: nun spricht er in dieser einen rhythmischen Atemstärke sein ganzes Werk hindurch, zehn, zwanzig, dreißig, vierzig Jahre. Bei Hölderlin dagegen verwandelt, verstärkt, verbreitert sich der Rhythmus der Rede unablässig, er wird immer rollender, rauschender, ungefüger, stoßhafter, verworrener, elementarer und gewitterhafter. Er beginnt wie eine Quelle, zart, tönend, als wandernde Melodie, und endet tosend und herrlich aufschäumend wie ein Sturzbach. Und dieses Freiwerden, dies Herrisch- und Selbstherrlichwerden des Rhythmus, sein Überschwang und Ausbruch geht geheimnisvoll (wie bei Nietzsche) Hand in Hand mit der inneren Selbstzerstörung, mit der Verwirrung der Vernunft. Der Rhythmus wird genau in dem Maße freier, als die logische Bindung im Geistigen sich lockert: schließlich kann der Dichter den mächtig aus sich aufschwellenden Schwall nicht mehr dämmen und wird von ihm überflutet, als seine eigene Leiche schwimmt er hin auf den rasenden Wassern des Gesangs. Diese Entwicklung zur Freiheit, dieses Sich-Losreißen, Sich-Selbstherrlichmachen des Rhythmus (auf Kosten der Bindung und geistigen Ordnung) geht im Hölderlinschen Gedichte ganz allmählich vor sich: zuerst hat er den Reim, die klirrende Fußkette von sich gestoßen, dann das über die breitatmende Brust zu enge Kleid der Strophe gesprengt; antikisch nackt lebt nun das Gedicht seine körperhafte Schönheit aus und eilt wie ein griechischer Läufer dem Unendlichen entgegen. Alle gebundenen Formen werden dem Inspirierten allmählich zu enge, alle Tiefen zu seicht, alle Worte zu dumpf, alle Rhythmen zu schwertönig – die ursprünglichste klassische Regelmäßigkeit des lyrischen Baues überwölbt sich und bricht, der Gedanke schwillt immer dunkler, mächtiger, gewitterhafter aus Bildern empor, immer tiefer und voller wird gleichzeitig das rhythmische Atemholen, großartig kühne Inversionen binden oft ganze Strophenreihen in einen Satz zusammen – aus den Gedichten werden Gesänge, hymnischer Anruf, prophetische Schau, heroisches Manifest. Die Mythisierung der Welt hat für Hölderlin begonnen, das Alldichtungwerden des ganzen Seins. Europa, Asien, Germanien, traumhafte Landschaften des Geistes dämmern wie Wolken heran aus einer ganz unwahrhaftigen Ferne, magische Zusammenhänge 79
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Der Kampf mit dem Dämon Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Title
Der Kampf mit dem Dämon
Subtitle
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Author
Stefan Zweig
Date
1925
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
202
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Teil 1 - Hölderlin 15
    1. Die heilige Schar 17
    2. Kindheit 21
    3. Bildnis in Tübingen 26
    4. Mission des Dichters 29
    5. Der Mythus der Dichtung 34
    6. Phaeton oder die Begeisterung 40
    7. Ausfahrt in die Welt 46
    8. Gefährliche Begegnung 48
    9. Diotima 56
    10. Nachtigallengesang im Dunkeln 61
    11. Hyperion 63
    12. Der Tod des Empedokles 68
    13. Das Hölderlinsche Gedicht 74
    14. Sturz ins Unendliche 81
    15. Purpurne Finsternis 87
    16. Scardanelli 91
  3. Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
    1. Der Gejagte 97
    2. Bildnis des Bildnislosen 100
    3. Pathologie des Gefühls 103
    4. Lebensplan 111
    5. Ehrgeiz 115
    6. Der Zwang zum Drama 119
    7. Welt und Wesen 125
    8. Der Erzähler 129
    9. Die letzte Bindung 133
    10. Todesleidenschaft 136
    11. Musik des Untergangs 140
  4. Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
    1. Tragödie ohne Gestalten 145
    2. Doppelbildnis 149
    3. Apologie der Krankheit 153
    4. Der Don Juan der Erkenntnis 161
    5. Leidenschaft der Redlichkeit 166
    6. Wandlungen zu sich selbst 172
    7. Entdeckung des Südens 178
    8. Flucht zur Musik 185
    9. Die siebente Einsamkeit 189
    10. Der Tanz über dem Abgrund 193
    11. Der Erzieher zur Freiheit 199
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