Page - 114 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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in der Konstruktion, gleichfalls ohne jedes Fundament der Erfahrung: nun
will der preußische Junker plötzlich »ein dunkles, stilles, unscheinbares
Leben«, will Bauer werden, in jener Einsamkeit wohnen, die Jean-Jacques
Rousseau seiner Zeit so verführerisch erfunden; nichts verlangt er mehr, als
das, was die persischen Magier als das Gott Wohlgefälligste bezeichnen: »ein
Feld zu bebauen, einen Baum zu pflanzen und ein Kind zu zeugen«. Kaum
daß der Plan ihn faßt, reißt er ihn schon mit: in der gleichen Geschwindigkeit,
mit der Kleist weise werden wollte, begehrt er nun dumpf zu werden. Über
Nacht verläßt er Paris, wohin er »vom Studium einer traurigen Philosophie
verwirrt« geflüchtet war, über Nacht schleudert er seine Braut von sich, nur
weil sie nicht sofort sich auf den neuen Lebensplan umstellen kann und
Bedenken äußert, ob sie, die Tochter eines hohen Generals, sich als Magd in
Feld und Stall zu betätigen vermöchte. Aber Kleist kann nicht warten: ist er
von einer Idee besessen, so brennt er im Fieber. Er studiert landwirtschaftliche
Bücher, arbeitet mit den Schweizer Bauern, fährt kreuz und quer durch die
Kantone, um für sein letztes Geld sich ein Gut (mitten im kriegsdurchwühlten
Land) zu kaufen; selbst wenn er das Nüchternste will, Gelehrsamkeit oder
Agrikultur, so kann er es nicht anders als dämonisch tun.
Seine Lebenspläne sind wie Zunder: sie flammen auf bei der ersten
Berührung mit der Wirklichkeit. Je mehr er sich müht, desto mehr muß ihm
mißlingen, denn sein Wesen ist Zerstörung durch Übertreibung. Was Kleisten
gelingt, geschieht wider seinen Willen: immer vollbringt die dunkle Macht in
ihm, was sein Wille nie geahnt. Und während er in Bildung und dann wieder
in Unbildung, in diesen überhitzten Pedanterien seiner Vernunft den Ausweg
sucht, hat der Trieb, die dunkle Willensgewalt seines Wesens, sich schon frei
gemacht: wie ein Geschwür ist, während er mit Salben und Verbänden
vernünftlerisch sein inneres Fieber heilen will, die geheime Gärung
aufgebrochen, der gefesselte Dämon hat sich losgerissen ins Gedicht. Ein
Traumwandler des Gefühls, ganz absichtslos hatte Kleist in Paris »Die
Familie Schroffenstein« begonnen, zaghaft seinen Freunden diese ersten
Versuche gezeigt: aber kaum, daß er die Möglichkeit erkennt, endlich, endlich
einmal durch ein aufgerissenes Ventil das Übermaß seines Gefühls zu
erleichtern, kaum daß er spürt, wie hier allein in dieser Welt der Grenzen,
Umschnürungen und Maße seiner Phantasie Freiheit gegeben ist, so rast
schon sein Wille in diese Unendlichkeit hinein (auch hier gleich gierig, in
erster Stunde an ihr letztes Ende zu gelangen). Die Dichtung ist Kleistens
erste Befreiung: jauchzend gibt er (der ihm zu entkommen wähnte) sich an
den Dämon zurück und wirft sich in seine eigene Tiefe wie in einen Abgrund.
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Title
- Der Kampf mit dem Dämon
- Subtitle
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1925
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199