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Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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nicht durchflogen von dem Atem der Klassik, noch durchdunkelt von der katholischen Dämmerung der Romantik. Kleistens Welt ist so sonderbar und zeitlos wie er selbst, eine saturnische Sphäre, weggewendet vom Tageslicht und der klaren Erscheinung. So wie der Mensch interessiert Kleisten die Natur, die Welt erst dort an ihrer äußersten Grenze, wo sie über sich selbst hinaustritt ins Unerhörte und Unwahrscheinliche, ja, ich möchte fast sagen, wo sie übermäßig, wo sie lasterhaft wird und die Norm verläßt. Genau wie in der Menschheit beschäftigt ihn bei den Geschehnissen nur das Anormale, die Abweichung von der Regel (die Marquise von O.; das Bettelweib von Locarno; das Erdbeben in Chili), immer also der Augenblick, wo sie den vorgezogenen Kreisen Gottes auszubrechen scheint. Nicht umsonst hat er Schubarts »Nachtseite der Natur« so leidenschaftlich gelesen: alle die Zwielichtsphänomene des Somnambulismus, der Nachtwandlerei, der Suggestion, des tierischen Magnetismus sind willkommener Stoff für seine übertreiberische Phantasie, die – nicht genug an den Menschenleidenschaften – nun die geheimen Kräfte des Kosmos herantreibt, daß sie seine Geschöpfe noch mehr verstricken: Verwirrung der Tatsachen zur Verwirrung des Gefühls! Im Sonderbaren ist immer Kleistens liebste Hausung: dort spürt er irgendwo nah in Schatten und Geklüft den Dämon, dem er überall magisch angelockt entgegenstrebt; auch im Weltwesen sucht er, wie sonst im Gefühl, den Superlativ. Durch dieses Abbiegen vom Offenbaren scheint Kleist für den ersten Blick seinen Zeitgenossen, den Romantikern, verwandt, aber zwischen jenen Dichtern teils gewollter, teils naiver Abergläubigkeit und Märchenseligkeit und seiner zwanghaften Liebe zum Phantastischen und Abstrusen klafft ein ganzer Abgrund des Gefühls: die Romantiker suchen das »Wunderbare« als eine Frommheit, Kleist das »Sonderbare« als eine Krankheit der Natur. Ein Novalis will glauben und schwelgen in dieser Gläubigkeit, ein Eichendorff und Tieck die Härte und Widersinnigkeit des Lebens auflösen in Spiel und Musik – Kleist aber, der Gierige, will das Geheimnis hinter den Dingen fassen, er bringt bis in das letzte Dunkel des Wunderbaren seinen forschenden, kalt-leidenschaftlichen, unerbittlich sondierenden Blick. Je sonderbarer das Geschehnis, um so sachlicher reizt es ihn, davon zu berichten, ja er setzt geradezu eine Bravour darein, das Unfaßliche in nüchterner Relation zu verdeutlichen, und so gräbt sich sein leidenschaftlicher Intellekt zäh wie eine Schraube Windung um Windung bis hinab in die unterste Sphäre, wo das Magische der Natur und das Dämonische des Menschen geheimnisvolle Brautschaft feiern. Hier kommt er Dostojewski näher als jemals ein Deutscher: auch Kleistens Gestalten sind geladen von allen kranken und übersteigerten Kräften der Nerven, und diese Nerven wiederum irgendwo schmerzhaft verhakt in das Dämonische der Weltnatur. 127
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Der Kampf mit dem Dämon Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Title
Der Kampf mit dem Dämon
Subtitle
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Author
Stefan Zweig
Date
1925
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
202
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Teil 1 - Hölderlin 15
    1. Die heilige Schar 17
    2. Kindheit 21
    3. Bildnis in Tübingen 26
    4. Mission des Dichters 29
    5. Der Mythus der Dichtung 34
    6. Phaeton oder die Begeisterung 40
    7. Ausfahrt in die Welt 46
    8. Gefährliche Begegnung 48
    9. Diotima 56
    10. Nachtigallengesang im Dunkeln 61
    11. Hyperion 63
    12. Der Tod des Empedokles 68
    13. Das Hölderlinsche Gedicht 74
    14. Sturz ins Unendliche 81
    15. Purpurne Finsternis 87
    16. Scardanelli 91
  3. Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
    1. Der Gejagte 97
    2. Bildnis des Bildnislosen 100
    3. Pathologie des Gefühls 103
    4. Lebensplan 111
    5. Ehrgeiz 115
    6. Der Zwang zum Drama 119
    7. Welt und Wesen 125
    8. Der Erzähler 129
    9. Die letzte Bindung 133
    10. Todesleidenschaft 136
    11. Musik des Untergangs 140
  4. Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
    1. Tragödie ohne Gestalten 145
    2. Doppelbildnis 149
    3. Apologie der Krankheit 153
    4. Der Don Juan der Erkenntnis 161
    5. Leidenschaft der Redlichkeit 166
    6. Wandlungen zu sich selbst 172
    7. Entdeckung des Südens 178
    8. Flucht zur Musik 185
    9. Die siebente Einsamkeit 189
    10. Der Tanz über dem Abgrund 193
    11. Der Erzieher zur Freiheit 199
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