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Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Leidenschaft am Verwirren und Verschrauben, das Gewaltsame der Verdichtung, seine Spiellust mit dem Geheimnis macht sie mehr aufregend als plastisch, durch nichts hitzen sie so sehr als durch ihre Scheinkühle, so daß »Die Marquise von O.« (eine achtzeilige Anekdote Montaignes) als spannende Scharade, das »Bettelweib von Locarno« wie ein schauriger Alp wirken. Gleichsam der Revers seines Wesens wird sichtbar, eine Exaltation des Nichtexaltiertseins, ein Übermaß des Maßhaltens. Auch Stendhal hatte ja zur kalten, nichtbildernden, antisentimentalischen Prosa tendiert und täglich das Bürgerliche Gesetzbuch gelesen, so wie Kleist den Ton der Chroniken sich zum Vorbild nimmt: während er aber bloß zu einer Technik kommt, gerät Kleist, der Triebhafte, in eine Passion des Nichtpassioniertseins, das Übermaß der Spannung ist nun aus ihm selbst in den Leser übergeschaltet. Aber immer spürt man das Zuviel, das unweigerlich von seinem Wesen ausgeht: darum ist von seinen Novellen die stärkste diejenige, die das Motiv seines Wesens in Gestaltung verwandelt, »Michael Kohlhaas«, der herrlichste, sinnvollste Typus des Übertreibers, den Kleist geschaffen, der Mann, der seine stärksten Kräfte durch Übersteigerung zur Zerstörung treibt, Gradsinn zu Starrsinn, Rechtlichkeit zu Rechthaberei; unbewußt ist er Sinnbild seines Gestalters, der aus seinem Besten das Gefährlichste schuf und aus dem Fanatismus des Willens über Weg und Ziel hinausdrängt. Auch in der Zucht, in der Verhaltung ist Kleist ebenso dämonisch übermäßig wie in der Schwelgerei, wie im Entströmen. Am vollendetsten erscheint diese Mischung, ich sagte es schon, im Absichtslosen, in jenen kleinen Anekdoten, die er gleichsam jenseits der Kunstabsicht schrieb, und dann in jener großartigsten Darstellung eines sonderbaren Menschen: in seinen Briefen. Nie hat sich ein deutscher Dichter ähnlich aufgetan der Welt gestellt, als Kleist in der Handvoll Briefe, die von ihm erhalten sind. Sie scheinen mir unvergleichbar mit den psychologischen Dokumenten Goethes und Schillers, weil Kleistens Wahrhaftigkeit unendlich kühner, hemmungsloser, abgründiger und unbedingter ist als die unbewußten Stilisierungen, die immer ästhetisch gebundenen Bekenntnisse der Klassiker. Kleist exzediert seiner ganzen Natur gemäß auch im Bekenntnis, er gibt der grausamsten Selbstzerfleischung noch einen geheimnisvollen Lustton, er hat nicht nur Liebe, sondern eine Art Brünstigkeit zur Wahrheit und eine herrliche Ekstatik immer im allertiefsten Schmerz. Nichts Schneidenderes als die Schreie dieses Herzens, und doch scheinen sie aus einer unendlichen Höhe zu kommen wie der zuckende Ton eines getroffenen Raubvogels, nichts Großartigeres als das heroische Pathos seiner klagenden Einsamkeit. Man meint die Qual des vergifteten Philoktet zu hören, der abseits von den Brüdern, einsam auf der Insel seines Geistes mit den Göttern hadert; und wie er sich in der Qual der Selbsterkenntnis die Kleider vom Leibe reißt, steht er 131
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Der Kampf mit dem Dämon Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Title
Der Kampf mit dem Dämon
Subtitle
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Author
Stefan Zweig
Date
1925
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
202
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Teil 1 - Hölderlin 15
    1. Die heilige Schar 17
    2. Kindheit 21
    3. Bildnis in Tübingen 26
    4. Mission des Dichters 29
    5. Der Mythus der Dichtung 34
    6. Phaeton oder die Begeisterung 40
    7. Ausfahrt in die Welt 46
    8. Gefährliche Begegnung 48
    9. Diotima 56
    10. Nachtigallengesang im Dunkeln 61
    11. Hyperion 63
    12. Der Tod des Empedokles 68
    13. Das Hölderlinsche Gedicht 74
    14. Sturz ins Unendliche 81
    15. Purpurne Finsternis 87
    16. Scardanelli 91
  3. Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
    1. Der Gejagte 97
    2. Bildnis des Bildnislosen 100
    3. Pathologie des Gefühls 103
    4. Lebensplan 111
    5. Ehrgeiz 115
    6. Der Zwang zum Drama 119
    7. Welt und Wesen 125
    8. Der Erzähler 129
    9. Die letzte Bindung 133
    10. Todesleidenschaft 136
    11. Musik des Untergangs 140
  4. Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
    1. Tragödie ohne Gestalten 145
    2. Doppelbildnis 149
    3. Apologie der Krankheit 153
    4. Der Don Juan der Erkenntnis 161
    5. Leidenschaft der Redlichkeit 166
    6. Wandlungen zu sich selbst 172
    7. Entdeckung des Südens 178
    8. Flucht zur Musik 185
    9. Die siebente Einsamkeit 189
    10. Der Tanz über dem Abgrund 193
    11. Der Erzieher zur Freiheit 199
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