Page - 137 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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seine »Hermannsschlacht« den Buchhändlern an, verdüstert seine Freunde mit
seinem Anblick: schließlich wird alles seiner müde, so wie er alles Suchens
müde ist. »Meine Seele ist so wund«, klagt er erschütternd in jenen Tagen,
»daß mir, ich möchte fast sagen, wenn ich die Nase aus dem Fenster stecke,
das Tageslicht wehe tut, das mir daraufschimmert.« Alle seine Leidenschaften
sind zu Ende, alle Kraft vertan, alle Hoffnung verbraucht, denn:
Machtlos schlägt sein Ruf an jedes Ohr,
Und wie er flatternd das Panier der Zeiten
Sich weiterpflanzen sieht von Tor zu Tor,
Schließt er sein Lied; er wünscht mit ihm zu enden
Und legt die Leier tränend aus den Händen.
Da in diesem ungeheuersten Schweigen, das jemals (vielleicht nur bei
Nietzsche) um einen Genius stand – rührt eine dunkle Stimme an sein Herz,
ein Ruf, der ihn immer sein ganzes Leben lang in den Augenblicken der
Entmutigung, der Verzweiflung angeklungen: der Todesgedanke. Von
frühester Jugend begleitet ihn diese Idee des Freitodes, und so wie er, ein
halber Knabe noch, sich einen Lebensplan gefertigt, so war auch der
Todesplan längst vorgedacht: immer wird der Gedanke mächtig in den
Stunden der Unmacht, dann taucht er wie ein dunkler Fels, wenn die Flut der
Leidenschaft, der aufgischtende Schwall der Hoffnung zurückebbt, in seiner
Seele auf. Nicht zu zählen sind in Kleistens Briefen und Begegnungen diese
fast brünstigen Schreie nach dem Ende, ja man könnte fast die Paradoxie
wagen, zu sagen: er konnte das Leben überhaupt nur dadurch so lange
ertragen, daß er stündlich bereit war, es wegzuwerfen. Immer will er sterben,
und wenn er so lange zögert, ist es nicht aus Furcht, sondern aus dem
Übertreiblichen, aus dem Exzessiven seiner Natur, denn auch den Tod will
Kleist in Riesenmaßen, in einer Exaltation, einem Überschwang: er will nicht
klein, nicht erbärmlich, nicht feige sich töten, er begehrt, wie er in jenem
Briefe an Ulrike schreibt, »einen herrlichen Tod« – selbst dieser finsterste,
abgründigste Gedanke hat bei Kleist noch eine Lustbetonung, eine
rauschhafte Wollüstigkeit. Er will sich in den Tod stürzen wie in ein
ungeheures Brautbett, und in merkwürdigster Verschränkung träumt er sich
den Tod als zweiseligen Untergang. Irgendeine Urangst – er hat sie
unsterblich gemacht in der Szene des Prinzen von Homburg – läßt ihn, den
Einsamsten, fürchten, diese Einsamkeit des Lebens noch durch die ganze
Ewigkeit des Todes weiterzutragen: so bietet er, von Kindheit an, jedem, den
er liebt, mit höchster Ekstase an, mit ihm zu sterben. Der Liebesbedürfigste
des Lebens sehnt sich nach einem Liebestod. In der irdischen Existenz konnte
keine Frau seinem Übermaß genügen, keine Schritt halten mit seinem
fanatischen Fortrasen in eine Ekstatik des Gefühls, keine, nicht die Braut,
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Title
- Der Kampf mit dem Dämon
- Subtitle
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1925
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199