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Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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kleinsten funktionellen Veränderungen seines Leibes. Andere vergessen sich selbst, weil ihre Aufmerksamkeit durch Gespräch und Geschäft, durch Spiel und Lässigkeit abgelenkt wird, weil sie sich durch Wein und Gleichgültigkeit abdumpfen. Ein Nietzsche aber, ein so genialer Diagnostiker, unterliegt ständig der Versuchung, als Psychologe an seinem eignen Leiden noch eine neugierige Lust zu haben, sich zu seinem »eigenen Experiment und Versuchstier« zu machen. Unablässig legt er mit der spitzen Pinzette – Arzt und Kranker in einer Person – das Schmerzhafte seiner Nerven bloß und reizt damit wie alle nervösen und phantasievollen Naturen die schon überstarken Empfindlichkeiten noch gesteigert empor. Mißtrauisch gegen die Ärzte, wird er sein eigener Arzt und »beärztelt« sich unablässig sein ganzes Leben lang. Er versucht alle erdenklichen Mittel und Kuren, elektrische Massagen, diätetische Vorschriften, Trinkkuren, Bäderkuren, er stumpft bald die Erregungen mit Brom herab, bald stachelt er sie mit andern Mixturen wieder hinauf. Seine meteorologische Empfindlichkeit jagt ihn ununterbrochen auf die Suche nach einer besonderen Atmosphäre, nach einem nur ihm gemäßen Ort, nach einem »Klima seiner Seele«. Bald ist er in Lugano, um der Seeluft und Windstille willen, dann in Pfäfers und Sorrent; dann meint er wieder, die Bäder von Ragaz könnten ihm von seinem schmerzhaften Selbst helfen, die heilkräftige Zone von St. Moritz, die Quellen von Baden-Baden oder Marienbad ihn begnaden. Einen Frühling lang ist es das Engadin, das er als sich wesensverwandt entdeckt mit seiner »stark ozonhaltigen Luft«, dann muß es wieder eine Südstadt sein, Nizza mit seiner »trockenen« Luft, dann wieder Venedig oder Genua. Bald strebt er den Wäldern zu, bald den Meeren, bald den Seen, bald den kleinen heiteren Städten »mit guter leichter Kost«. Weiß Gott, wie viele Tausende Kilometer Eisenbahn der fugitivus errans durchfahren hat, nur um diesen märchenhaften Ort zu finden, wo das Brennen und Ziehen seiner Nerven, dieses ewige Wachsein der Organe aufhörte. Allmählich destilliert er sich aus seinen Leidenserfahrungen eine eigne Art Gesundheitsgeographie, er durchforscht dickleibige geologische Werke um dieses Ortes willen, den er wie Aladins Ring sucht, um endlich die Herrschaft über seinen Leib und Frieden seiner Seele zu gewinnen. Keine Reise wäre ihm zu weit: Barcelona ist in seinen Plänen und das Hochgebirge von Mexico. Argentinien und sogar Japan wird erwogen. Die geographische Lage, die Diätetik des Klimas und der Kost werden allmählich seine private zweite Wissenschaft. Bei jedem Ort notiert er sich die Temperatur, den Luftdruck, mißt mit Hydroskop und Hydrostat die Niederschlagsmenge auf den Millimeter und den Feuchtigkeitsgehalt. Die gleiche Übertreiblichkeit in der Diät. Auch da ein ganzes Register, eine medizinische Tabulatur von Vorsichtigkeiten: der Tee muß eine bestimmte Marke haben und in bestimmter Stärke dosiert, um ihm bekömmlich zu sein; Fleischkost ist gefährlich; Gemüse müssen auf bestimmte Art zubereitet sein; allmählich 156
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Der Kampf mit dem Dämon Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Title
Der Kampf mit dem Dämon
Subtitle
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Author
Stefan Zweig
Date
1925
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
202
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Teil 1 - Hölderlin 15
    1. Die heilige Schar 17
    2. Kindheit 21
    3. Bildnis in Tübingen 26
    4. Mission des Dichters 29
    5. Der Mythus der Dichtung 34
    6. Phaeton oder die Begeisterung 40
    7. Ausfahrt in die Welt 46
    8. Gefährliche Begegnung 48
    9. Diotima 56
    10. Nachtigallengesang im Dunkeln 61
    11. Hyperion 63
    12. Der Tod des Empedokles 68
    13. Das Hölderlinsche Gedicht 74
    14. Sturz ins Unendliche 81
    15. Purpurne Finsternis 87
    16. Scardanelli 91
  3. Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
    1. Der Gejagte 97
    2. Bildnis des Bildnislosen 100
    3. Pathologie des Gefühls 103
    4. Lebensplan 111
    5. Ehrgeiz 115
    6. Der Zwang zum Drama 119
    7. Welt und Wesen 125
    8. Der Erzähler 129
    9. Die letzte Bindung 133
    10. Todesleidenschaft 136
    11. Musik des Untergangs 140
  4. Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
    1. Tragödie ohne Gestalten 145
    2. Doppelbildnis 149
    3. Apologie der Krankheit 153
    4. Der Don Juan der Erkenntnis 161
    5. Leidenschaft der Redlichkeit 166
    6. Wandlungen zu sich selbst 172
    7. Entdeckung des Südens 178
    8. Flucht zur Musik 185
    9. Die siebente Einsamkeit 189
    10. Der Tanz über dem Abgrund 193
    11. Der Erzieher zur Freiheit 199
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