Page - 162 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Frau, so sucht Nietzsche durch alle Erkenntnis hindurch die Erkenntnis, die
ewig irreale und nie ganz erreichbare; ihn reizt bis zum Schmerz, bis zur
Verzweiflung nicht das Erobern, nicht das Halten und Haben, sondern immer
nur das Fragen, das Suchen und Jagen. Unsicherheit, nicht Gewißheit ist seine
Liebe – Erkenntnis im Sinne der Bibel, wo der Mann das Weib »erkennt« und
damit gleichsam geheimnislos macht. Er weiß, der ewige Relativist der Werte,
daß keiner dieser Erkenntnisakte, dieser Besitzergreifungen mit heißem Geist
schon ein wirkliches »Zu-Ende-Kennen« ist, daß sich Wahrheit im letzten
Sinn nicht besitzen läßt: denn »wer da empfindet, ich bin im Besitz der
Wahrheit, wie vieles läßt der nicht fahren«. Darum richtet sich Nietzsche
niemals haushälterisch ein im Sinne des Sparens und Bewahrens und baut
kein geistiges Haus: er will – oder er muß vielmehr aus dem nomadischen
Zwang seiner Natur – der ewig Besitzlose bleiben, der nicht Dach hat und
Weib und Kind und Gesind, aber dafür die Lust und die Freude der Jagd: er
liebt gleich Don Juan nicht die Dauer des Gefühls, sondern die »großen und
verzückten Augenblicke«, ihn locken einzig die Abenteuer des Geistes, jene
»gefährlichen Vielleichts«, die heiß machen und anspornen, solange man sie
jagt, und nicht satt machen, sobald man sie greift – er will keine Beute,
sondern (wie er sich selbst im Don Juan der Erkenntnis schildert) nur den
»Geist, Kitzel und Genuß an Jagd und Intriguen der Erkenntnis – bis an die
höchsten und fernsten Sterne der Erkenntnis hinauf –, bis ihm zuletzt nichts
mehr zu erjagen übrigbleibt als das absolut Wehetuende der Erkenntnis,
gleich dem Trinker, der am Ende Absinth und – Scheidewasser trinkt«.
Denn der Don Juan im Geiste Nietzsches ist kein Epikureer, kein üppiger
Genießer: dazu fehlt diesem Aristokraten, diesem feinnervigen Edelmann das
dumpfe Behagen des Verdauens, das träge Ausruhen in der Sattheit, das
Prahlen mit seinen Triumphen, das jemals Zufriedensein. Der Jäger der
Frauen ist – wie der Nimrod des Geistes – selbst der ewig Gejagte eines
unstillbaren Triebes, der rücksichtslose Verführer selbst ein Verführter seiner
brennenden Neugier, ein Versucher, der versucht ist, alle Frauen in ihrer
unerkannten Unschuld immer wieder zu versuchen, so wie Nietzsche fragt um
der Frage willen, um der unstillbaren psychologischen Lust. Für Don Juan ist
das Geheimnis in allen und in keiner, in jeder für eine Nacht und in keiner für
immer: genauso für den Psychologen die Wahrheit in allen Problemen für
einen Augenblick und in keinem für immer.
Darum ist Nietzsches geistiges Leben so ganz ohne Ruhepunkte, ohne stille
spiegelnde Flächen: es ist durchaus stromhaft, wanderhaft, voll plötzlicher
Umwendungen, Kehren und Stromschnellen. Bei den andern deutschen
Philosophen geht ihr Dasein episch-gemächlich dahin, ihre Philosophie stellt
das behaglich-handwerkliche Fortspinnen eines einmal entwirrten Fadens dar,
sie philosophieren gleichsam seßhaft, mit entspannten Gliedern, und kaum
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Title
- Der Kampf mit dem Dämon
- Subtitle
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1925
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199