Page - 164 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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uns dieser elementare Ton. Denn so rechtlich diese wissenschaftlichen
Naturen auch sind, so tapfer, so entschlossen ihre Anspannung auf das Ganze
wirkt – sie werfen sich doch nicht dermaßen mit ihrem ganzen ungeteilten
Wesen, mit Herz und Eingeweiden und Nerven und Fleisch, mit ihrem ganzen
Schicksal in das heroische Spiel um die Erkenntnis. Sie brennen immer nur
so, wie Kerzen brennen, nur oben, nur zu Häupten, nur mit dem Geist. Ein
Teil, der weltliche, der private und damit auch das Persönlichste ihrer
Existenz, bleibt immer schicksalsgesichert, indes Nietzsche sich voll und ganz
riskiert, er, der sich unaufhörlich nicht »bloß mit den Fühlhörnern des kalten
neugierigen Gedankens«, sondern mit der ganzen Wucht seines Schicksals in
die Gefahr wirft. Seine Gedanken kommen nicht bloß von oben, aus dem
Gehirn, sondern sind herausgefiebert aus einem gehetzten, aufgestachelten
Blute, aus zitternd gereizten Nerven, aus unersättlichen Sinnen, aus dem
ganzen Zusammenfassen des Lebensgefühls: darum ballen seine Erkenntnisse
wie jene Pascals sich »zu einer leidenschaftlichen Seelengeschichte« tragisch
auf, sie werden eine gesteigerte Folge gefährlicher und fast tödlicher
Abenteuer, ein Lebensdrama, das wir erschüttert miterleben (indes jene
andern Philosophen-Biographien nicht um einen Zoll das geistige Bild
erweitern). Und doch, selbst in bitterster Not möchte er sein Leben, sein
»gefährliches Leben« nicht mit ihrem geordneten vertauschen, denn gerade,
was die andern in ihrer Erkenntnis suchen, eine Aequitas animae, eine
gesicherte Seelenrast, einen Schutzwall gegen das überströmende Gefühl, das
haßt Nietzsche als Minderung der Vitalität. Ihm, dem Tragiker, dem
heldischen Menschen, geht es nicht um das »elende Ringen um das Dasein«,
um erhöhte Sicherheit, um eine Brustwehr gegen das Erleben. Nur keine
Sicherheit, nur nie ein Befriedigtsein, ein Sich-Genügen! »Wie kann man in
der ganzen wundervollen Ungewißheit und Vieldeutigkeit des Daseins stehen
und nicht fragen, nicht zittern vor Begierde und Lust des Fragens«, so höhnt
er den Häuslichen, den rasch Zufriedenen hochmütig entgegen. Mögen sie
erfrosten in ihren Gewißheiten, ruhig sich einkapseln in die Muschelschalen
ihrer Systeme: ihn lockt nur die gefährliche Flut, das Abenteuer, das ewige
Entzücken und die ewige Enttäuschung. Mögen sie weiter ihre Philosophie
treiben im gewärmten Haus ihres Systems wie ein Geschäft, ehrlich und
sparsam ihren Besitz zum Reichtum mehrend: ihn lockt nur das Spiel, der
Einsatz des Letzten, der eigenen Existenz. Denn nicht einmal sein eigenes
Leben lüstet es ihn, den Abenteurer, zu besitzen: auch hier will er noch ein
heroisches Mehr: »Auf die ewige Lebendigkeit kommt es an, nicht auf das
ewige Leben.«
Mit Nietzsche erscheint die schwarze Freibeuterflagge des Piraten zum
erstenmal auf den Meeren der deutschen Erkenntnis: ein Mensch anderer Art,
anderen Stammes, Philosophie nicht mehr im wissenschaftlichen
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Title
- Der Kampf mit dem Dämon
- Subtitle
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1925
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199