Page - 168 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Psychologe, nie ein Geist so sehr zum feinempfindlichen Druckmesser für die
Meteorologie der Seele zugeschliffen; nie hatte die Erforschung der Werte ein
so präzises, ein so sublimes Instrument.
Aber für vollendete Psychologie genügt es nicht, das feinste, schneidendste
Skalpell, das erlesenste Instrument des Geistes zu besitzen – auch die Hand
des Psychologen muß stählern sein, geschmeidiges und hartes Metall, sie darf
nicht zittern und zurückzucken bei ihren Operationen. Denn Psychologie ist
mit Begabung noch nicht erschöpft, sie ist vor allem auch Sache des
Charakters, jenes Mutes, »alles zu denken, was man weiß«, sie ist im idealen
Fall wie bei Nietzsche Erkenntnis fähigkeit, gepaart mit einer ganz urhaften
männlichen Kraft des Erkenntnis willens. Der wirkliche Psychologe muß dort,
wo er sehen kann, auch sehen wollen, er darf nicht aus einer sentimentalen
Nachsicht, einer privaten Ängstlichkeit und Scheu vorbeisehen und
vorbeidenken oder sich von Rücksichten und Sentimenten einschläfern lassen.
Bei ihnen, den gerechten Wägern und Wächtern, »deren Aufgabe das
Wachsein ist«, darf es keine Konzilianz geben, keine Gutmütigkeit, keine
Ängstlichkeit, kein Mitleid, keine der Schwächen (oder Tugenden) des
bürgerlichen, des mittleren Menschen. Ihnen, den Kriegern, den Eroberern
des Geistes, ist es nicht erlaubt, auf ihren verwegenen Patrouillengängen
irgendeine Wahrheit, die sie ertappen, gutmütig entwischen zu lassen. In
Dingen der Erkenntnis ist »Blindheit nicht Irrtum, sondern Feigheit«,
Gutmütigkeit ein Verbrechen, denn wer Rücksicht hat auf Scham und
Wehetun, Furcht vor dem Geschrei der Entblößten, vor der Häßlichkeit der
Nacktheit, der entdeckt niemals letztes Geheimnis. Jede Wahrheit, die nicht
bis zum Äußeren geht, jede Wahrhaftigkeit ohne Radikalismus hat keinen
ethischen Wert. Deshalb auch Nietzsches Härte gegen alle, die aus Trägheit
oder Denkfeigheit die heilige Pflicht zur Entschlossenheit versäumen, deshalb
sein Zorn gegen Kant, daß er den Gottbegriff durch eine heimliche Tür in sein
System wieder einschleichen ließ, darum sein Haß gegen alles Blinzeln und
Augenzudrücken in der Philosophie, gegen den »Teufel oder Dämon der
Unklarheit«, der die letzte Erkenntnis feige verschleiert oder verwischt. Es
gibt keine abgeschmeichelten Wahrheiten großen Stils, keine zutraulich und
lockend herausgeplauderten Geheimnisse: nur mit Gewalt, Kraft und
Unerbittlichkeit läßt sich die Natur ihr Kostbarstes abringen, nur mit
Brutalität werden in der Moral des »großen Stils« die »Furchtbarkeit und
Majestät unendlicher Forderungen« gestellt. Alles Verborgene fordert harte
Hände, unerbittliche Intransigenz: ohne Redlichkeit gibt es kein Erkennen,
ohne Entschlossenheit keine Redlichkeit, keine »Gewissenhaftigkeit des
Geistes.« »Wo meine Redlichkeit aufhört, bin ich blind; wo ich wissen will,
will ich auch redlich sein, nämlich hart, strenge, enge, grausam und
unerbittlich.«
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Title
- Der Kampf mit dem Dämon
- Subtitle
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1925
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199