Page - 182 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Gleichzeitig mit dieser definitiven Entdeutschung verhilft ihm der Süden zu
seiner vollkommenen Entchristlichung. Nun, da er, wie eine Lazerte sich der
Sonne freuend und die Seele durchleuchtet bis in ihr letztes Nervengefäß
hinab, sich zurückfragt, was ihn so lange Jahre verdüsterte, was seit
zweitausend Jahren die ganze Welt so zag, ängstlich, gedrückt, so feige
schuldbewußt gemacht, die heitersten, natürlichsten, kraftvollsten Dinge und
ihr Kostbarstes, das Leben selbst, so entwertet habe, erkennt er im
Christentum, im Jenseitsglauben das Verdüsterungsprinzip der modernen
Welt. Dieses »übelriechende Judain von Rabinismus und Aberglauben« hat
die Sinnlichkeit, die Heiterkeit der Welt durchsetzt und betäubt, es ist für
fünfzig Generationen das gefährlichste Narkotikum geworden, in dem alles,
was früher wahrhaft Kraft gewesen, in moralische Lähmung verfiel. Nun aber
– und hier empfindet er sein Leben mit einem Mal als Mission –, nun muß
endlich der Kreuzzug der Zukunft gegen das Kreuz beginnen, die
Wiedereroberung des heiligsten Menschenlandes: unseres Diesseits. Das
»Übergefühl des Daseins« hat ihn den leidenschaftlichen Blick für alles
Diesseitige, Animalisch-Wahre und Unmittelbare gelehrt; seit dieser
Entdeckung weiß er erst, wie lange das »gesunde, rote Leben« ihm von
Weihrauch und Moral verschleiert gewesen war. Im Süden, in jener »großen
Schule der Genesung im Geistigen und Sinnlichen«, hat er die Fähigkeit des
Naturhaften, des schuldlos sich freuenden, des spielhaft heiteren Lebens ohne
Winterfurcht und Gottesfurcht erlernt, den Glauben, der zu sich selbst ein
herzhaftes, schuldloses Ja sagt. Aber auch dieser Optimismus kommt von
oben, freilich nicht von einem verborgenen Gott, sondern vom offensten, vom
seligsten Geheimnis, von Sonne und Licht. »In Petersburg wäre ich Nihilist.
Hier glaube ich, wie die Pflanze glaubt, an die Sonne.« Alle seine Philosophie
ist unmittelbar aus erlöstem Blut aufgegoren: »Bleiben Sie südlich, sei es nur
dem Glauben nach«, ruft er einem Freunde zu. Wem aber Helligkeit so sehr
Heilung geworden, dem wird sie auch heilig: in ihrem Namen beginnt er den
Krieg, jenen furchtbarsten seiner Feldzüge gegen alles auf Erden, was die
Helligkeit, die Heiterkeit, die Klarheit, die nackte Ungebundenheit und
sonnige Rauschkraft des Lebens verstören will. »… mein Verhältnis zur
Gegenwart ist nunmehr Krieg bis aufs Messer.«
Mit diesem Mut kommt aber auch Übermut in dies krankhaft unbewegt
hingelebte, hinter verhangenen Fenstern verbrachte Philologenleben, eine
Aufstörung, Aufjagung des erstarrten Blutkreislaufes: bis in unterste
Nervenenden, durchfiltert von Licht, taut die kristallhafte, klare Form der
Gedanken beweglich auf, und im Stil, in der plötzlich aufschießenden und
beweglichen Sprache, glitzert Sonne mit diamantenen Funken. In der
»Sprache des Tauwinds«, wie er selbst vom ersten seiner Südbücher sagte, ist
alles geschrieben: ein aufbrechender, gewaltsam sich befreiender Ton ist
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Title
- Der Kampf mit dem Dämon
- Subtitle
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1925
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199