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Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Page - 183 -
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Page - 183 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche

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darin, wie wenn eine Kruste Eis zerbricht und schon weich, mit einer schmeichlerischen, spielerischen Wollust, der Frühling über die Landschaft rinnt. Licht bis hinab in die letzte Tiefe, Klarheit bis in das kleinste, sprühende Wort, Musik in jeder Pause – und über dem Ganzen jener halkyonische Ton, jener Himmel voller Helligkeit. Welche Verwandlung des Rhythmus von der früheren, der zwar schön geschwungenen, kraftvoll gewölbten, aber doch steinernen, und dieser neuen, klingend aufgesprungenen Sprache, dieser biegsam übermütigen, ganz freudigen Sprache, die gern alle Glieder nützt und reckt, die – wie die Italiener – gestikuliert mit tausend mimischen Zeichen, nicht bloß wie der Deutsche mit unbewegtem, unbeteiligtem Leib spricht. Es ist nicht das würdige, sonore, schwarzbefrackte Humanistendeutsch mehr, dem der neue Nietzsche seine frei geborenen, auf Spaziergängen wie Schmetterlinge zugeflogenen Gedanken anvertraut – seine Freiluftgedanken wollen eine Freiluftsprache, eine sprungleichte, geschmeidige Sprache mit einem turnerisch nackten, gewandten Leib und lockeren Gelenken, eine Sprache, die laufen, springen, sich hochheben, sich ducken, sich spannen und alle Tänze tanzen kann vom Reigen der Schwermut bis zur Tarantella der Tollheit – die alles tragen und alles sagen kann, ohne Lastträgerschultern zu haben und einen Schwermännerschritt. Alles Haustierhaft-Geduldige, alles Gemächlich-Würdige ist vom Stil gleichsam weggeschmolzen, er wirbelt sich von Spaßen zu höchsten Heiterkeiten sprunghaft empor und hat doch wieder in anderen Augenblicken ein Pathos wie der dröhnende Ton einer uralten Glocke. Er schwillt von Gärung und Kraft, er ist champagnisiert mit vielen kleinen, blinkenden aphoristischen Perlen und kann doch überschäumen mit plötzlichem rhythmischem Schwall. Er hat ein goldenes Licht von Feierlichkeit wie alter Falerner und eine magische Durchsichtigkeit bis zum untersten Grund, eine Durchsonntheit ohnegleichen im heiteren, blitzblanken Fluß. Vielleicht hat sich niemals die Sprache eines deutschen Dichters so rasch, so plötzlich, so vollkommen verjüngt, und gewiß ist keine andere dermaßen von Sonne durchglüht, so weinhaft, so südhaftig, so göttlich tanzleicht, so heidnisch frei geworden. Nur im Bruderelement van Goghs erleben wir noch einmal dies Wunder eines solchen plötzlichen Sonneneinbruchs in einen Nordmenschen: nur der Übergang von dem braunen, schwermassigen, trüben Kolorit seiner holländischen Jahre zu den brennweißen, schrillen, grellen, klirrenden Farben in der Provence, nur dieser Einbruch äußerster Lichtbesessenheit in einen halb schon geblendeten Sinn ist mit der Durchleuchtung zu vergleichen, die Nietzsche in seinem Wesen vom Süden geschieht. Nur bei diesen beiden Fanatikern der Verwandlung ist dieses Sich-Berauschen, dies Einsaugen des Lichts mit vampirischen Kräften der Inbrunst so rasch und unerhört. Nur die Dämonischen erleben das Wunder des glühenden Aufgeschlossenseins bis in die letzte Ader ihrer Farbe, ihres Klanges, ihrer Worte hinab. 183
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Der Kampf mit dem Dämon Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Title
Der Kampf mit dem Dämon
Subtitle
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Author
Stefan Zweig
Date
1925
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
202
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Teil 1 - Hölderlin 15
    1. Die heilige Schar 17
    2. Kindheit 21
    3. Bildnis in Tübingen 26
    4. Mission des Dichters 29
    5. Der Mythus der Dichtung 34
    6. Phaeton oder die Begeisterung 40
    7. Ausfahrt in die Welt 46
    8. Gefährliche Begegnung 48
    9. Diotima 56
    10. Nachtigallengesang im Dunkeln 61
    11. Hyperion 63
    12. Der Tod des Empedokles 68
    13. Das Hölderlinsche Gedicht 74
    14. Sturz ins Unendliche 81
    15. Purpurne Finsternis 87
    16. Scardanelli 91
  3. Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
    1. Der Gejagte 97
    2. Bildnis des Bildnislosen 100
    3. Pathologie des Gefühls 103
    4. Lebensplan 111
    5. Ehrgeiz 115
    6. Der Zwang zum Drama 119
    7. Welt und Wesen 125
    8. Der Erzähler 129
    9. Die letzte Bindung 133
    10. Todesleidenschaft 136
    11. Musik des Untergangs 140
  4. Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
    1. Tragödie ohne Gestalten 145
    2. Doppelbildnis 149
    3. Apologie der Krankheit 153
    4. Der Don Juan der Erkenntnis 161
    5. Leidenschaft der Redlichkeit 166
    6. Wandlungen zu sich selbst 172
    7. Entdeckung des Südens 178
    8. Flucht zur Musik 185
    9. Die siebente Einsamkeit 189
    10. Der Tanz über dem Abgrund 193
    11. Der Erzieher zur Freiheit 199
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