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Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Page - 187 -
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Page - 187 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche

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sind sie nicht Urgesang der Menschenstimme aus einer unendlichen Einsamkeit? Und wann war der Rausch so tanzhaft, so sehr heroische, so sehr griechische Musik geworden, als im Päan seines letzten Jubels, in dem Dithyrambus des Dionysos? Von oben durchstrahlt von aller Klarheit des Südens, von unten durchwühlt von strömender Musik, wird hier Sprache wahrhaft zur niemals ruhenden Welle, und in diesem meerhaft großartigen Element kreist nun Nietzsches Geist bis zum Wirbel des Untergangs. Wie nun die Musik so stürmisch und gewaltsam in ihn einbricht, erkennt Nietzsche, der dämonisch Wissende, sofort ihre Gefahr: er fühlt, daß dieser Strom ihn über sich selbst hinausreißen könnte. Aber indes Goethe seinen Gefahren ausweicht – »Goethes vorsichtige Haltung zur Musik«, notiert Nietzsche einmal –, faßt sie Nietzsche immer an den Hörnern; Umwertungen, Umwendungen sind seine Art der Verteidigung. Und so macht er (wie bei seiner Krankheit) aus dem Gift eine Arznei. Musik muß ihm jetzt ein anderes sein als in seinen philologischen Jahren: damals verlangte er erhöhte Spannungen der Nerven, Aufschwülung des Gefühls (Wagner!), ein Gegengewicht gegen seine gelassene, gelehrte Existenz. Jetzt aber, da sein Denken selbst schon Exzeß ist und ekstatische Gefühlsverschwendung, bedarf er der Musik als einer Art seelischen Broms, einer innern Zurückberuhigung. Nicht mehr Trunkenheit soll sie ihm geben (alles Geistige wird ihm ja jetzt klingender Rausch), sondern nach Hölderlins herrlichem Wort die »heilige Nüchternheit«: »Musik als Erholung, nicht als Aufregungsmittel.« Er will eine Musik, in die er flüchten kann, wenn er todwund und müde vom Weidwerk seiner Gedanken taumelt, ein Refugium, ein Bad, kristallene Flut, die kühlt und läutert – Musica divina, eine Musik von oben her, Musik aus klaren Himmeln und nicht aus gepreßter, schwüler, brünstiger Seele. Eine Musik, die ihn sich vergessen läßt, nicht eine, die ihn wieder in sich zurücktreibt, eine »jasagende, jatuende« Musik, eine Südmusik, wasserklar in ihren Harmonien, ureinfach und rein, eine Musik, »die sich pfeifen läßt«. Eine Musik nicht des Chaos (das glüht in ihm selbst), sondern des siebenten Schöpfungstages, da alles ruht und nur die Sphären ihren Gott heiter preisen, Musik als Rast: »Nun, da ich im Hafen bin: Musik, Musik!« Leichtigkeit, das ist Nietzsches letzte Liebe, sein höchstes Maß an allen Dingen. Was leicht macht, was gesundet, ist gut: in Kost, in Geist, in Luft, in Sonne, in Landschaft, in Musik. Was schweben macht, was die Dumpfheit und Dunkelheit des Lebens, die Häßlichkeit der Wahrheit vergessen hilft, das allein schenkt Gnade. Darum diese letzte, diese späte Liebe zur Kunst, als der »Ermöglicherin des Lebens«, als »großer Stimulans zum Leben«. Musik, helle, erlösende, leichte Musik, wird von nun ab das geliebteste Labsal des tödlich Aufgeregten. »Das Leben ohne Musik ist einfach eine Strapaze, ein Irrtum.« Ein Fieberkranker kann nicht wilder mit zersprungenen, brennheißen 187
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Der Kampf mit dem Dämon Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Title
Der Kampf mit dem Dämon
Subtitle
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Author
Stefan Zweig
Date
1925
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
202
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Teil 1 - Hölderlin 15
    1. Die heilige Schar 17
    2. Kindheit 21
    3. Bildnis in Tübingen 26
    4. Mission des Dichters 29
    5. Der Mythus der Dichtung 34
    6. Phaeton oder die Begeisterung 40
    7. Ausfahrt in die Welt 46
    8. Gefährliche Begegnung 48
    9. Diotima 56
    10. Nachtigallengesang im Dunkeln 61
    11. Hyperion 63
    12. Der Tod des Empedokles 68
    13. Das Hölderlinsche Gedicht 74
    14. Sturz ins Unendliche 81
    15. Purpurne Finsternis 87
    16. Scardanelli 91
  3. Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
    1. Der Gejagte 97
    2. Bildnis des Bildnislosen 100
    3. Pathologie des Gefühls 103
    4. Lebensplan 111
    5. Ehrgeiz 115
    6. Der Zwang zum Drama 119
    7. Welt und Wesen 125
    8. Der Erzähler 129
    9. Die letzte Bindung 133
    10. Todesleidenschaft 136
    11. Musik des Untergangs 140
  4. Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
    1. Tragödie ohne Gestalten 145
    2. Doppelbildnis 149
    3. Apologie der Krankheit 153
    4. Der Don Juan der Erkenntnis 161
    5. Leidenschaft der Redlichkeit 166
    6. Wandlungen zu sich selbst 172
    7. Entdeckung des Südens 178
    8. Flucht zur Musik 185
    9. Die siebente Einsamkeit 189
    10. Der Tanz über dem Abgrund 193
    11. Der Erzieher zur Freiheit 199
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