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90 Von der Tiroler Landeseinheit bis zum Tod Kaiser MaximiliansÂ
I. (1519)
Inhalt und Aufbau
Vorbild Ovid Werk Ausdruck verlieh, werden doch Maximilian und einer seiner höchsten Beam-
ten dort, wie wir gleich sehen werden, direkt angesprochen.
Die Nenia de obitu et laude […] Sigismundi („Klagegesang vom Hinscheiden und
Lob […] Sigmunds“ ; bibliographische Beschreibung bei Heidloff 1975, 30–31) er-
schien 1496 oder 1497 in Freiburg i.B. Es handelt sich um ein Bändchen von sechs
unpaginierten Blättern, in dem der im Haupttitel angekündigten pièce de résistance
einige kleinere StĂĽcke vorangehen und folgen. Den Anfang macht ein zehnzeiliges
Epigramm an den Leser (Bl. [1]r), in dem als Inhalt rĂĽhrende lachrymae pro principe
fusae („für einen Fürsten vergossene Tränen“) und als Metrum zum Thema passende
elegische Distichen angekündigt werden (tatsächlich stehen alle Gedichte in diesem
VersmaĂź). In der folgenden Elegie (Bl. [1]v) wendet Locher sich an den ehemaligen
Kanzler Sigmunds und jetzigen Hofkanzler Maximilians Konrad StĂĽrtzel und bittet
diesen, seiner schlechten Dichtung trotz (ironisch charakterisierter) übermächtiger
Konkurrenz beim Kaiser Gehör zu verschaffen ; er werde zum Dank auch Stürtzel
selbst bedichten. Die beiden nächsten Stücke wenden sich direkt an Maximilian :
zunächst ein „Klagebrief“ in Prosa (Bl. [2]r–[3]r), der Lobpreisungen Sigmunds
und Maximilians miteinander verquickt, dann ein Epigramm, das v.a. die Kriegs-
tugenden des Kaisers hervorhebt (Bl. [3]rv). In der eigentlichen Nenia (Bl. [3]r–[6]r)
werden zunächst nochmals ausführlich elegische Klagegesänge angekündigt. Dann
stellt Locher dem Leser den Begräbniszug vor Augen und zählt die von Sigmunds
Tod betroffenen Völker und Stände auf. Auf diesen klagenden Teil folgt, eingelei-
tet von einem Binnenproömium, ein z.T. biographisch strukturiertes Sigmundslob :
Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter des Erzherzogs werden kurz charakterisiert,
worunter sich Bemerkungen zu seiner Schönheit, seinen Tugenden und seinem
GlĂĽck mischen. Auch im Jenseits wird er unter den Seligen weilen. Mit der Auf-
forderung, nicht zu sehr zu trauern, da ja alles sterblich sei, beginnt der Schlussteil.
Locher fordert, man möge Sigmund eine Statue errichten, und preist schließlich
Maximilian als würdigen Nachfolger. Die Nenia hält sich mit dieser Dreiteilung an
den Standardaufbau der Prosa-Leichenrede und stellt somit ein poetisches Gegen-
stĂĽck zur panegyrischen Funeralrhetorik der folgenden Epochen dar (vgl. hier v.a.
S.Â
284–292). Den Schluss macht ein Epigramm an den Freiburger Humanisten und
Drucker Friedrich Riedrer, bei dem das Werk erschienen ist (Bl. [6]r).
Der junge Dichter handhabt das elegische Distichon routiniert, wenn seine Verse
auch nicht immer besonders inspiriert wirken. Unter den antiken Autoren, die er
als Vorbilder heranzieht, sticht Ovid hervor, der mit den Heroides und der Exildich-
tung der prominenteste antike Vertreter der Elegie in ihrer Eigenschaft als Klage-
dichtung ist. Lochers Ovid-imitatio lässt sich bis ins Detail verfolgen : Wenn er etwa
behauptet, er mĂĽsse beim Schreiben weinen und sein Manuskript sei deshalb voller
Flecken und verschmierter Stellen (Bl. [4] r : Flens scribo tristesque cadunt in verba li-
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593