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408 Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669)
Ausblendung
der heidnischen
Tradition verse unterstrichen : beispielsweise kehrt in den Fronleichnamsepigrammen die
Aufforderung Currite (non ludo), vah, currite, currite cuncti („Lauft – ich scherze
nicht –, auf, lauft, lauft alle !“) immer wieder. Auf diese Art versucht Savioli, die
Konzentration des Lesers auf einen einzigen Gegenstand zu fokussieren und ihn
zu immer tieferem Eindringen in diesen anzuleiten. Der hiermit gegebenen Gefahr
der ErmĂĽdung und des Erlahmens der Aufmerksamkeit begegnet er mit einer Reihe
von Mitteln : Er vergegenwärtigt dem Leser die beschriebene Situation und führt sie
ihm bildlich vor Augen ; ein gutes Beispiel hierfĂĽr sind die Distichen auf das Kreuz,
die größtenteils mit den Worten En oder Ecce („Sieh da !“) beginnen. Er belebt die
meisten Gedichte, indem er sich, oft in Form eines Ausrufs oder einer Frage, an
ein Du wendet, entweder an die heilsgeschichtlich bedeutsame Gestalt, von der die
Rede ist, oder wiederum an den Leser. (Gelegentlich spricht er sogar sich selbst an,
etwa um sich dafĂĽr zu schelten, dass er seinen eigenen Aufforderungen nicht Folge
leiste ; vgl. z.B. das 95. Fronleichnamsepigramm [60].) SchlieĂźlich kultiviert er in
offensichtlichem Anschluss an das bei den Jesuiten Gelernte eine regelrechte Poetik
des Paradoxen, die neben den fundamentalen Paradoxa des Christentums insbeson-
dere die Komplikationen verwertet, welche ein Durchdenken der Beziehung zwi-
schen Gott und Mensch zu Tage fördert. Man vergleiche etwa Flammula 5,1 (20) :
O Amor, haud amo te, quamvis adamare peroptem ;
Num quia non vere, quod puto velle, volo ?
An quia non possum, quod vellem ? Oh, te fac amari,
Seu nolim et possim sive velim et nequeam.
O Liebe, ich liebe dich nicht, obwohl ich so sehr wĂĽnsche, dich lieb zu gewinnen : etwa
deshalb, weil ich nicht wirklich will, was ich zu wollen glaube – oder weil ich nicht kann,
was ich wollte ? Oh, mach, dass du geliebt wirst, sei’s, dass ich nicht will und kann, sei’s
dass ich will und nicht kann !
Die heidnische Tradition des Epigramms wird bei alldem, wiederum in gut jesu-
itischer Schultradition, weitgehend ausgeblendet. Das betrifft nicht nur inhalt-
liche Aspekte wie Witz und Sexualität, sondern auch Metrik und Sprache. Jene
entspricht mit ihren Lizenzen (z.B. Kurzmessung des auslautenen Ablativ-o) nicht
immer antiken Standards, diese greift stärker auf die Bibel als auf die Klassiker
zurück (und wirkt dabei oft gezwungen und schwer verständlich). Ein scheinbares
Gegenbeispiel zu dieser Absenz der antiken Tradition stellt nur der Briefwechsel am
Schluss des Bandes dar, der das Modell von Ovids Heroides aufgreift : Diese schlie-
Ăźen ja ebenfalls mit drei Briefpaaren. Hier werden auch einzelne ovidische Topoi
ĂĽbernommen, so etwa, wenn die Seele beteuert, ihr Brief sei von ihren eigenen
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593