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Beredsamkeit 477
Oratio de Fortuna
Reden Andreas
Castners
Oratio pro oratione
De laudibus Tirolis
In einem Aktenbündel „Tiroler Historiker 16./17. Jh.“ des TLA findet sich eine
kurze anonyme „Rede über die Schicksalsgöttin“. Der redundante und schablo-
nenhafte Text ist nicht genauer datierbar – er könnte grundsätzlich auch vor 1595
entstanden sein –, und dass er dem jesuitischen Unterrichtsbetrieb entstammt, ist
nur eine plausible Vermutung. Er reiht nach einleitender Bescheidenheitstopik und
allgemeinen Bemerkungen zur Macht der Fortuna (Bl. 1r) zuerst antike und mit-
telalterliche Beispiele fĂĽr Personen, die dank ihrer Hilfe steil aufgestiegen sind (Bl.
1r–2v), dann solche für tief Gefallene aneinander (Bl. 2v–4r) und schließt mit einer
Ermahnung zum geduldigen Ertragen allfälliger Schicksalsschläge (Bl. 4r). Damit
weist er dieselbe Zweiteilung des Hauptteils auf, die schon bei den Reden der Scho-
lastica Oenipontana zu beobachten war.
Gleich sechs Übungsreden, davon allerdings eine unvollständige, enthält das be-
reits besprochene (vgl. hier S.Â
400) Schulheft des Andreas Castner, der 1607/08 bei
den Innsbrucker Jesuiten die Rhetorikklasse besuchte. Abgesehen von einer griechi-
schen Weihnachtsrede ([25]–[29]), die er dem Titel nach am 26. 12. 1607 vorgetra-
gen hat und die in Thematik, KĂĽrze, Schlichtheit und Fehlerhaftigkeit recht genau
ihrem Gegenstück aus den Scholastica (vgl. hier S. 302–303) entspricht, handelt es
sich um lat. Lobreden, von denen zwei fĂĽr sich stehen, drei ursprĂĽnglich im Rah-
men rhetorischer Wettkämpfe gehalten wurden.
Die beiden selbständig gehaltenen Reden sind recht unterschiedlich. Die Oratio
pro oratione („Rede für das Gebet“ ; [57]–[59]) ist ein kurz gefasster Preis des Ge-
bets als Königsweg zu Gott, der in eine Aufforderung an die Hörer mündet, fleißig
zu beten. Durch ihre geistliche Thematik schlieĂźt sie sich der griechischen Weih-
nachtsrede an und fällt etwas aus dem Rahmen der übrigen lat. Reden, in denen es
primär um weltliche Dinge geht. Das Wortspiel im Titel, das die Verwandtschaft
zwischen Beredsamkeit und Gespräch mit Gott und damit zwischen weltlichem
Wissen und geistlichem Nutzen zu betonen scheint, könnte jedoch gerade dazu
dienen, die enge Beziehung zu betonen, die zwischen diesen beiden Aspekten des
jesuitischen Unterrichts besteht.
Vergleichsweise ausführlich ist dagegen die „Rede über das Lob Tirols“ (De lau-
dibus Tirolis oratio ; [68]–[76]). Castner gibt sich in ihr zu Beginn überwältigt von
der Fülle des Lobenswerten, die ihm die zunächst für leicht gehaltene Aufgabe fast
unmöglich zu machen scheint, und appelliert an das Wohlwollen seiner Zuhörer.
Tirol stellt in seinen Augen die nobilissima Germaniae portiuncula („edelstes Teil-
chen Deutschlands“) dar, ja es ist allen anderen Gegenden der Erde vorzuziehen
([68]–[70]). Er preist ohne strenge Ordnung seine natürlichen Vorzüge (gemäßigtes
Klima, Berge als natĂĽrlicher Schutzwall) und GĂĽter (Getreide, Holz, Vieh, Fische,
Wein, Salz, Edelmetalle, Jagdwild) sowie seine Städte und die dort tätige Gesell-
schaft Jesu selbst ([70]–[74]). Den Kulminationspunkt bildet ein Lob von Tirols
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593