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574 Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669)
wissenschaftlich
ĂĽberholt
platonischer
Dialog
Personal Einen Grund dafür, dass Guarinonius davon abließ, weitere Teile zu veröffentli-
chen (vielleicht auch überhaupt zu schreiben), könnten die damaligen Entwicklun-
gen in der Anatomie sein. Zwar lässt sich Guarinonius’ Theorie in den Diskurs jener
Zeit nicht mehr klar einordnen, da er sie fĂĽr den zweiten Band aufsparte und pein-
lich jede Anspielung vermied, die seine epochale Entdeckung zu früh hätte verraten
können. Es ist aber davon auszugehen, dass die 1627 durch Gaspare Aselli (1581–
1674) entdeckten Chylusgefäße in seiner Theorie eine Rolle spielten (gerade Aselli
wird in dem Brief, mit welchem sich Vesling bei Guarinonius fĂĽr die Zusendung
der Zusammenfassung der Chylosophia bedankt, als Zeuge dafĂĽr angefĂĽhrt, dass die
traditionelle Lehre irrig sein muss : Vesling, Observationes anatomicae, 212–213).
Kurze Zeit nach Guarinonius veröffentlichte Jean Pecquet (1622–1674) seine Ex-
perimenta nova anatomica („Neue anatomische Versuche“ ; Paris 1651). Ausgehend
von Asellis Entdeckungen beschrieb Pecquet den Lymphkreislauf bzw. den Kreis-
lauf des chylus und zeigte, dass der chylus nicht direkt in die Leber, sondern ĂĽber
den ductus thoracicus in den Blutkreislauf gelangt. Dies dĂĽrfte die Entdeckung von
Guarinonius obsolet gemacht haben, sei es, dass sein bisher unentdeckter Weg des
chylus in die Leber ebenfalls über Blutgefäße führte, sei es, dass er an einen anderen,
durch die Darlegungen Pecquets falsifizierten Weg glaubte. Ein groĂźer Nachteil fĂĽr
Guarinonius bei seiner Auseinandersetzung mit dem chylus-Problem war, dass er an
ein nicht zuletzt anatomisches Problem nur als praktizierender Arzt und medizini-
scher Theoretiker, nicht aber als Anatom heranging. Im Unterschied zu Aselli und
Pecquet betrieb Guarinonius selbst keine Sektionen und stĂĽtzte sich offenbar nur
auf anatomische Hinweise in Marinis Hs. und Meinungen einiger Ă„rzte, mit denen
er das Problem diskutiert hatte.
Die Chylosophia, formal ein Dialog, orientiert sich am platonischen Muster : Es
gibt bei dieser Fiktion eines langen Gesprächs im freundlichen Ton keine einlei-
tende Erzählung, die Umstände des Gesprächs erfährt das Lesepublikum nur aus
den Äußerungen der Teilnehmer. Diese Umstände und den zeitlichen und örtlichen
Rahmen, in dem die Gesprächsfiktion angesiedelt ist, das Setting des Dialogs, be-
schreibt Guarinonius immer wieder mit viel Aufwand.
Als Gesprächspersonen kommen mehrere angesehene Fachleute aus Medi-
zin, Philosophie und Theologie vor. Sie werden unter sprechenden Namen ein-
geführt, wobei bei manchen die wahre Identität explizit angegeben wird : Neben
dem unter dem Namen Chylosophus („Nahrungsbreiweiser“) auftretenden Gua-
rinonius sind dies der Theologe Theotimus („Gottehrender“), die Ärzte Prochylus
(„Freund des Nahrungsbreis“, Paul Weinhart d.Ä.) und Antichylus („Gegner des
Nahrungsbreis“, Leonardo Panzoldi) sowie die Philosophieprofessoren Castologus
(„Keuschheitsredner“) und Cosmosophus („Weltweiser“). Die Diskutanten aus den
verschiedenen Fachrichtungen ermöglichen es Guarinonius, sein Wissen auf allen
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593