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246 Konfliktdynamiken
5.1.2 Nationale und / oder religiöse Indifferenz?
Nationalistische Agitatoren erkannten freilich die Diskrepanz zwischen der
behaupteten »nationalen Einheit« und den intraethnischen, sozial und poli-
tisch bedingten Konflikten. Sie beschrieben daher die Akteure der geschil-
derten Konfliktfälle oft als »national indifferent«. Der Begriff der »nationalen
Indifferenz« kommt dort als Vorwurf, sogar als Beschimpfung vor: Er bedeu-
tet »Renegatentum« (ein in den nationalistischen Zeitungen oft verwendetes
Wort), nationalen »Verrat«. Besonders diejenigen wurden damit beschul-
digt, die den nationalistischen Erwartungen nicht entsprachen und sich den
nationalistischen Gruppenkategorien nicht fügten: Priester oder Bischöfe
in Istrien, die sich nicht entlang ethnisch-nationaler Frontlinien verorteten;
Kirchgänger in Lika-Krbava, die »trotz« ihrer kroatischen Nationalität keine
altslawischen Gottesdienste wollten; Kirchgänger in Drenova, die den Pries-
ter nicht nach den nationalen / nationalistischen Kriterien ablehnten oder
unterstützten; Priester in Drenova oder Fiume / Rijeka, von denen nationa-
listische Kreise andere Handlungen erwartet hätten.
Auch wenn die südslawisch-nationalen Akteure dem Katholizismus eine
positive Bedeutung beimaßen, weil Teile des katholischen (vor allem niede-
ren) Klerus, wie in den Konfliktbeispielen gezeigt wurde, die nationale und
sprachliche Emanzipation der streng religiösen südslawischen Bevölkerung
unterstützten und förderten, stießen südslawisch-nationalistische Ideen
auch unter den südslawischen Katholiken in den ländlichen Gebieten oft
auf Unverständnis oder sogar Ablehnung. Daher wurde der Vorwurf, nati-
onal indifferent zu sein, auch seitens südslawisch-nationalistischer Akteure
gegenüber kroatisch- oder slowenischsprachigen Katholiken erhoben. Dies
ging mit der Aufforderung einher, sie ob ihrer ethnisch-nationalen Zugehö-
rigkeit belehren zu müssen. Der Quellenbegriff der nationalen Indifferenz
ist also eindeutig nationalistisch belastet: Alle Menschen und Handlungen,
welche den Erwartungen nationalistischer Akteure und Diskurse nicht ent-
sprachen, wurden mit diesem Begriff – und seinen Synonymen – belegt.
Indifferenz gegenüber den Nationalismen, den »nationalen« Themen, die
in vielen Konfliktfällen vorzufinden war, ist jedoch nicht gleich nationaler
Indifferenz.11 Wenn die »Nation« nicht als geschlossene Gruppe, sondern als
heterogene, widersprüchliche Ereignisse aufgefasst wird (vgl. Kapitel 1.2.2),
werden auch die Akteure erfasst, die sich zwar einer ethnisch-national ver-
standenen »Gruppe« zugehörig fühlten, aber außerhalb und jenseits des
herrschenden, hegemonialen »nationalen Narratives« standen.12 In diesem
Sinne verstehen Maarten Van Ginderachter und Jon Fox die »nationale
11 Stourzh, The Ethnicizing of Politics and »National Indifference«, S. 302.
12 Egry, Etnicitás, identitás, politika, S. 34f.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303